Die Rebenprinzessin
ersten Rebstock.
Bernhard Wackernagel entfernte sich ein Stück weit von ihr, um nach den anderen Pflückern zu sehen. Schließlich hörte sie ihn rufen: »Die neuen Weinstöcke weiter oben lasst ihr in Ruhe, die sind Sache des Grafen. Also los, dann beginnt mit der Lese!«
Ein zustimmendes Raunen ging durch die Menge, kurz darauf wurden die ersten Messer angesetzt.
Bella rückte den Korb vor sich zurecht und schob das Weinlaub beiseite. Dann griff sie nach der ersten Traube und machte den ersten Schnitt. Schwer fiel die Frucht in ihre Handfläche. Bellas prüfender Blick entdeckte weder Fraßstellen noch Verkrustungen. Die Trauben waren perfekt. Sie legte sie vorsichtig in den Korb und setzte ihre Arbeit fort.
Während sie Rebstock für Rebstock abpflückten, stieg die Sonne höher und warf ihr goldenes Licht auf die Rebstöcke und Trauben.
Ein herrlicher Tag, dachte Bella. Warum kann es nicht immer so sein? Vater und ich könnten uns um den Wein kümmern und bräuchten uns keine Gedanken über eine Heirat zu machen. Aber jetzt muss er seine Zeit mit dem Fürsten vertändeln. Du wolltest ihn doch eigentlich vergessen, schalt sie sich selbst sogleich und setzte das Messer wieder an.
Mittlerweile war ihr Korb schon gut gefüllt, und sie musste aufpassen, dass er nicht zu schwer wurde, damit sie ihn noch auf den Hof zum Sammelbottich tragen konnte. Bevor sie den Korb weiterrücken und sich dem nächsten Weinstock zuwenden konnte, schoss plötzlich eine Hand aus dem Laub. Bella stieß einen erschrockenen Schrei aus und sprang auf. Dann erkannte sie, dass die Hand eine Heckenrose hielt, und wenig später tauchte über dem Rebstock das Gesicht von Martin auf.
»Du hast mich halb zu Tode erschreckt!«, hielt sie ihm daraufhin vor, während sie den Blick über den Korb schweifen ließ, den er auf dem Rücken trug. Er war voll bis zum Rand. Die Trauben, die obenauf lagen, hatten einen leicht rötlichen Schimmer. Wie sie erkennen konnte, hatte Martin die Trauben gut verlesen, denn keine der Weinbeeren war schadhaft.
»Glücklicherweise nur halb!«, entgegnete er und reichte ihr die Rose. Daran, dass die Blätter ein wenig verkümmert wirkten, erkannte Bella, dass es eine der letzten sein musste, die an den Büschen rings um den Weinberg wuchsen. »Hier, die ist für dich. Meister Wackernagel hat mir eine Reihe zugeteilt, an deren Beginn Heckenrosen wachsen. Ich habe die schönste von denen, die es noch gab, für dich ausgesucht.«
»Ach, du hast dich im Weinberg also dermaßen gelangweilt, dass du Zeit zum Rosenpflücken hattest«, gab Bella neckend zurück, während sie die Blüte in die Hand nahm, ganz vorsichtig, damit sie ihre zarten Blätter nicht verlor.
Martin deutete lächelnd auf seinen vollen Korb. »Wie du siehst, habe ich meine Arbeit verrichtet. Da ich allerdings gehofft habe, dich unterwegs zu treffen, dachte ich mir, dass ich eine Rose für dich mitnehme. Einer schönen Dame sollte man nicht ohne ein Geschenk gegenübertreten.«
Bella blickte ihn auf diese Worte hin verwundert an. »Für einen Bauernsohn hast du erstaunlich gute Manieren.«
Martin schoss das Blut ins Gesicht. »Die habe ich mir auf meinen Reisen angeeignet«, antwortete er schnell und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
»Dann musst du aber in großen Städten unterwegs gewesen sein. Erzähl mir davon!«
Martin hätte ihr vom Leben in Padua berichten können, aber da erklang nicht weit von ihnen entfernt die Stimme des Kellermeisters, der auf seinem Kontrollgang war. »Ich fürchte, ich muss dich vertrösten, sonst wird Meister Wackernagel nicht genug von mir übriglassen, dass ich dir berichten kann. Aber vielleicht sehen wir uns auf dem Rückweg noch einmal.«
Bella nickte ihm lächelnd zu. »Eil dich. Und denk daran, behandle die Trauben so sanft wie das Weib, das du liebst.«
Martin schien diese Bemerkung ein wenig zu verwirren, aber angesichts des nahenden Kellermeisters fasste er sich schnell wieder. »Steck dir die Rose doch ins Haar«, riet er, während er den Korb auf den Rücken hob. »So weiß jeder, dass du die Rebenprinzessin bist.«
»Sollte ich dann nicht eher Weinlaub tragen?«
»Vielleicht. Aber wenn du dir einen Kranz aus Weinlaub bindest, könnte die Rose der Edelstein darin sein.« Martin zwinkerte ihr zu, schob die Gurte seines Korbes auf den Schultern zurecht und lief los.
»Vielen Dank für die Rose!«, konnte Bella ihm gerade noch nachrufen, da verschwand er auch schon wieder in dem Meer aus grünen
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