Die Rebenprinzessin
Blättern. Lächelnd betrachtete sie die Rose in ihrer Hand und schob sie sich ins Haar.
Als auch ihr Korb gefüllt war, schulterte sie ihn und trug ihn den Hang hinauf. Zwischendurch hielt sie Ausschau nach Martin, konnte ihn allerdings nirgends entdecken.
Auf dem Hof angekommen, stiefelte sie zu dem großen Sammelbottich, der die Trauben zum Zerstampfen aufnehmen sollte. Davor stand ein Lesetisch, auf den die geernteten Trauben geschüttet wurden. Mehrere Frauen nahmen die Weinbeeren noch einmal in Augenschein, bevor sie endgültig in das Behältnis kamen.
Kurz kam ihr der Gedanke, dass ihr Vater hier stehen und die Nachlese überwachen könnte, und ließ sie innehalten. Bella ließ den Blick erst über den Hof und dann zu den anderen Pflückern schweifen, die vor ihr an der Reihe waren, die Körbe zu entleeren. Nirgends konnte sie den Grafen entdecken. Wahrscheinlich saß er noch immer bei Roland von Hohenstein und handelte die genauen Bedingungen ihrer Hochzeit aus. Vielleicht unterzeichnet er gerade den Heiratsvertrag, ging es Bella bitter durch den Sinn.
Während sich hinter ihr weitere Korbträger einreihten, rückten ihre Vordermänner voran. Nach einer Weile war Bella am Lesetisch an der Reihe. Sie hob den Korb von ihren Schultern und schüttete die Trauben vorsichtig auf das riesige Holzbrett, das hier und da von Traubenmost benetzt war. Die neugierigen Blicke der Mägde ignorierend, sog Bella den Geruch der Trauben ein und beobachtete dann, wie die Frauen mit flinken Händen begannen, die Trauben zu sortieren.
Bella trat beiseite, um dem nächsten Pflücker Platz zu machen, gestattete sich aber, die Frauen noch einen Augenblick zu beobachten. Bilder tauchten aus ihrer Erinnerung auf. Ebenso, wie ihr Vater sich früher nie gescheut hatte, zusammen mit den Knechten die Reben zu pflücken, hatte sich auch ihre Mutter unter die Untergebenen gemischt und an der Lese teilgenommen. Die Anwesenheit der Gräfin hatte nie Beklommenheit unter den Frauen ausgelöst, es gehörte einfach dazu und spornte die anderen an, besonders gründlich zu arbeiten.
Bella sah ihre Mutter auf einmal wieder vor sich bei ihrer letzten Lese. Unter ihrem Kleid war das Kind, das sie erwartete, bereits auszumachen, denn ein kleiner Bauch wölbte sich unter dem groben Stoff. Ihr Vater hatte es nicht gern gesehen, dass seine Gemahlin an der Lese teilnahm, weil er fürchtete, das Kind sei in Gefahr.
Bella erinnerte sich noch gut daran, dass ihre Mutter gelacht und danach auf sie gedeutet hatte. »Unsere kleine Prinzessin habe ich kurz nach der Lese bekommen, da hat es mir auch nicht geschadet, dass ich zuvor noch die Trauben verlesen habe.«
Die Miene ihres Vaters war dennoch skeptisch geblieben. Bella hatte sich damals nichts dabei gedacht, doch mittlerweile glaubte sie zu wissen, dass er bereits eine Ahnung gehabt hatte. Oder er hatte gehofft, dass das zweite Kind endlich der ersehnte Sohn sein würde, nachdem er beim ersten Mal nur eine Tochter bekommen hatte.
Das Gelächter einer der Mägde verscheuchte das Bild vor ihrem geistigen Auge und damit auch die Bitterkeit, die sich erneut in ihr Herz geschlichen hatte. Sie tastete nach der Rose in ihrem Haar, und nachdem sie sichergestellt hatte, dass die Blume noch da war, nahm sie ihren Korb und strebte wieder der Pforte zum Weinberg zu. Unterwegs hielt sie noch einmal Ausschau nach Martin, aber der hatte sich wohl schon wieder zu seiner Reihe begeben. Der Gedanke an den Jungen zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, das selbst Roland von Hohenstein, wäre er jetzt vor ihr aufgetaucht, nicht hätte wegwischen können.
Den ganzen Tag über schleppte Bella zusammen mit den anderen Körbe. Da sie die Arbeit aus dem Kloster kannte, ermüdete sie nicht, und die Liebe zum Weinberg verstärkte ihren Elan. Zwar konnte sie nicht ganz so viel tragen wie die Männer, und als der Nachmittag hereinbrach, zitterten ihre Beine ein wenig, dennoch marschierte sie Mal um Mal den Hang hinauf zur Pforte und brachte ihre Trauben zum Lesetisch.
Zwischendurch ließ sich Martin mehrfach blicken und neckte sie, wenn er wieder mal einen vollen Korb vorbeitrug, sie ihren dagegen erst zur Hälfte gefüllt hatte.
»Das ist hier eine Weinlese und kein Wettrennen«, rief ihm Bella lachend hinterher und machte sich an die Arbeit.
Als sie das Ende ihrer Reihe erreicht hatte, schulterte sie ihren Korb erneut, wickelte das Winzermesser in ihren Rockbund ein, damit sie sich nicht verletzte, und begab sich zur
Weitere Kostenlose Bücher