Die Rebenprinzessin
auf ihre Lippen.
Wahrscheinlich sorgte ihr Vater schon dafür, dass sein zukünftiger Schwiegersohn nicht zu Schaden kam. Entweder bekam der Fürst den gutmütigen Apfelschimmel neben Rufus oder die Falbenstute auf der anderen Seite. Bella war es gleich, welches Tier sie reiten sollte. Auch wenn sie sich niemals an Rufus heranwagen würde, hatte sie zu Pferden ein gutes Verhältnis. Sie liebte die oft sanftmütigen Tiere nicht so sehr, wie sie damals ihren Kater geliebt hatte, aber noch nie hatte sie sich Bisse oder Tritte eingefangen.
Ein leises Pfeifen erregte ihre Aufmerksamkeit, und als sie den Kopf zur Seite wandte, erblickte sie Martin. Er stand neben der Treppe und wirkte, als sei er auf der Suche nach ihr gewesen. Bella stieg die Treppe hinunter und trat zu ihm.
»Du trägst also deine Krone, Prinzessin?«, fragte Martin, während er einen beobachtenden Blick über ihre Schulter warf. Noch hatte ihn niemand bemerkt, aber Bellas Kleid leuchtete dermaßen prächtig im Morgenlicht, dass es dem Grafen sicher nicht schwerfiel, seine Tochter auszumachen.
»Gefällt sie dir?«, fragte Bella und strich vorsichtig über die Blätter.
Martin nickte. »Ich vermisse nur die Rose.«
»Ich habe den Kranz heute Morgen geflochten, als ich wieder einmal nicht schlafen konnte. Da war sie leider schon verwelkt.«
»Meinst du, das wirst du jemals verlieren?«, fragte Martin daraufhin. »Ich meine die Schlaflosigkeit zur dritten Stunde.«
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Bella. »Acht Jahre lang bin ich Tag für Tag zur Matutin erwacht. Vielleicht dauert es genauso lange, bis ich wieder durchschlafen kann.« Sie stockte kurz, dann fügte sie hinzu: »Aber irgendwie bin ich ganz froh, dass ich in den vergangenen Wochen so früh wach war. Das hat mir ein paar schöne Moment beschert.«
Martin blickte sie eindringlich an. Das ist der richtige Momente, schien ihm eine innere Stimme zu sagen. Gib ihn ihr! »Ich habe da etwas für dich«, sagte er rasch und zog ein Blatt unter dem Hemd hervor.
Bella betrachtete staunend das Papier, das er ihr in die Hand drückte. »Was ist das?«, fragte sie und wollte die Hand schon öffnen, doch Martin schloss sie wieder.
»Sieh es dir später an. Und bitte denk dran, die Buchstaben gegen jene vom anderen Ende des Alphabets einzutauschen.«
Bella runzelte die Stirn. »Ich soll was tun?«
»Es ist eine Geheimschrift, die du entziffern musst. Lies den Brief aber nur, wenn du unbeobachtet bist.«
Bevor Bella etwas darauf erwidern konnte, ertönten über ihnen Schritte und die Stimme ihres Vaters. Als sie sich umsah, erblickte sie ihn in Begleitung von Roland von Hohenstein und seinem Heiratswerber, der dem Fürsten getreulich wie ein Hund nachlief.
Der Ritt sollte also in Kürze beginnen.
Bella blickte Martin bedauernd an, der ihr verständnisvoll zunickte. Dann legte er lächelnd einen Finger an die Lippen und verschwand.
Der Brief glühte wie ein Schmiedeeisen auf ihrer Haut, als sie zu ihrem Vater trat. Bella hatte das Schreiben in ihrem Ärmel verborgen und hoffte, dass man ihr die Aufregung darüber nicht anmerkte. Was wollte Martin ihr wohl sagen?
Viele Dinge kamen ihr in den Sinn. Alle hatten sie mit dem Kuss vom vergangenen Abend zu tun. Dem Kuss, der sie lange hatte keinen Schlaf finden lassen und der es sogar geschafft hatte, ihre Gedanken an die Hochzeit zu verdrängen. Am liebsten wäre sie zurück in ihr Zimmer gelaufen und hätte sofort nachgeschaut, was darin stand, doch da wandte sich ihr der Graf zu.
»Du bist diesmal pünktlich, wie ich sehe.« Obwohl ihm das nur recht sein konnte, überhörte Bella den Anflug eines Vorwurfs in seiner Stimme nicht. »Ich hätte es allerdings begrüßt, wenn du uns beim Morgenmahl Gesellschaft geleistet hättest.«
Das hatte sie vollkommen vergessen!
»Nun scheltet Eure Tochter doch nicht«, wandte Roland von Hohenstein mit einem selbstgefälligen Lächeln ein. »Ich kann verstehen, dass die Aufregung ihr den Appetit verdirbt. Vielen jungen Bräuten soll es so ergehen. Seht nur, wie sie glüht!«
Besonders für die letzten Worte wäre ihm Bella am liebsten an die Kehle gesprungen. Was ging ihn ihre Gesichtsfarbe an? Und seit wann spielte er sich als ihr Beschützer auf? Nicht einmal von Martin hätte sie das geduldet!
»Vielen Dank für Euren Beistand, Euer Gnaden, doch es ist nicht die Hochzeit, die mich in diesen Zustand versetzt«, entgegnete sie scharf und mit finsterer Miene. »Vielmehr ist es das erste Mal, dass ich
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