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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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eigentlich etwas?«
    »Ja, ich rieche, ganz normal.«
    »Wie ist das möglich, wenn du doch keine Nase mehr hast?«
    »Ich weiß nicht, wie das geht, aber ich rieche alles.«
    Da man noch nicht wußte, daß die Nase nur ein einfacher Fortsatz mit der Aufgabe ist, Gerüche zu den Riechnerven im Innern der Nasenhöhle (die bei Justinien intakt war) zu übermitteln, hielt man sie gleichsam für den Sitz des Geruchssinnes.
    In jener Nacht konnte Justinien keinen Schlaf finden und nutzte seine Halbfreiheit, um nach oben auf den Turm, an die frische Luft zu klettern. Dort setzte er sich zwischen zwei Zinnen, ließ die Beine baumeln und wartete auf den Sonnenaufgang. Unterdessen grübelte er über sein trauriges Schicksal nach, beschuldigte der Reihe nach Gott, den Teufel, aber auch sich selbst. Fünfzehn Meter unter ihm quakten alle Frösche in den Burggräben im Chor dazu, als wollten sie sich über seine Torheit lustig machen.
     
    Eine Sternschnuppe fiel vom Himmel. Sein Pate hatte ihm erklärt, daß es eine Seele sei, die zur Hölle fahre. Warum sah man denn im Winter niemals Sternschnuppen? Das würde ja bedeuten, daß sich die Zugbrücke in die Hölle nur im Sommer senkte? Die Frage beschäftigte ihn um so mehr, als er wußte, daß er zu diesem Schicksal unausweichlich verdammt war. Die Menge der Todsünden, die er seit Beginn des Jahres begangen hatte, garantierten ihm ein solches Ende. Früher oder später würde sein Stern vom Himmel fallen, und er fragte sich, ob in jener Nacht dann wohl jemand draußen sein würde, um ihn hinabsausen zu sehen.
    Als alle Glocken zur Prima läuteten, verließ Justinien seinen Platz zwischen den Zinnen und kehrte in die Zelle zurück. Die Stadttore wurden geöffnet, und bevor er einnickte, hörte er noch das Knarzen des Getriebes, als das Fallgitter hochgezogen und die Zugbrücke der Burg herabgelassen wurde.
    Eine Stunde später weckten ihn Beaulouis und seine Söhne. Sie stellten auf seinen Tisch eine Bouillon mit gepökeltem Schweinefleisch, einen Teller mit Weißwürsten und einem ganzen gebratenen Hähnchen sowie eine Schale mit Obst und einen Krug voll leichten Rotweins.
    Während er dieses Mahl zu acht Sols aß, besahen der Kerkermeister und seine Söhne sich genauestens die neue Nase, die er sich geschnitzt hatte, eine Nase, gerade wie ein groß geschriebenes I, das den Tatendrang, den sein Gesicht ausstrahlte, unterstrich.
    Nachdem er sich satt gegessen hatte, forderte ihn Beaulouis auf, ihm in den Hof zu folgen.
    »Maître Lenègre hat die Eisenstange gebracht, ich werde dir zeigen, wie man sie benutzt.«
    Obwohl nicht selten jemand zum Tod durch das Rad verurteilt wurde, so war diese Form der Strafe doch nicht gerade alltäglich. Die Erfahrung des Schließers auf diesem Gebiet belief sich auf zwei solcher Hinrichtungen, die er bei Maître Pradel gesehen hatte. Beim ersten Mal hatte er einem Reformierten die Knochen gebrochen, der seinen Sohn in einen Brunnen geworfen hatte, damit er bekehrt würde und, ein paar Jahre darauf, einem Giftmischer aus Séverac, der seinen Wohltäter vergiftet hatte, um ihn zu beerben.
    »Zunächst einmal, denk daran, daß du nicht mehr als elf Schläge hast, so ist es Gesetz. Vier für die Beine, vier für die Arme, zwei für die Brust und den letzten für die Taillengegend. Ob der Todeskampf schnell oder langsam vonstatten gehen wird, hängt davon ab, wie du diese Schläge setzt. Vergiß nicht, daß sein Tod furchteinflößend sein muß, deshalb solltest du nicht in die Herzgegend, an den Hals oder auf den Kopf schlagen, sonst könnte es passieren, daß du ihn sofort tötest.«
    Beaulouis deutete in Richtung des Kerkerturms und schlug vor:
    » Gehen wir doch zu ihm, ich werde es dir dann an seinem Körper näher erklären.«
    »Das ist wirklich nicht nötig! Zeigt mir lediglich, wohin genau ich schlagen soll.«
    Justinien fürchtete den Augenblick, wenn der Verurteilte begreifen würde, daß er sein Henker war. Der Gedanke daran war ihm schon vorher peinlich.
    »Wie du willst. Bei den Gliedmaßen ist das nicht weiter schwierig, du schlägst mitten auf die langen Knochen.«
    Er berührte sich am Arm, Unterarm, Ober- und Unterschenkel.
    »Bei der Brust mußt du dahin schlagen.«
    Er schlug sich gegen das Brustbein.
    »Und bei der Taillengegend zielst du auf den Nabel. Aber paß auf, du mußt diesen letzten Schlag wesentlich heftiger ausführen als die vorherigen, wenn du den Rückenknochen treffen und zertrümmern willst.«
    Beaulouis

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