Die rechte Hand Gottes
Scheusal hat es nicht
verdient, daß man auch noch Rücksicht auf es nimmt. Beeilt Euch, Bruder, wir haben schon genug Zeit verloren.«
In dem engen Gang befühlte Beaulouis den Stoff von Galines Kleidern. Sie waren aus gutem Tuch gemacht, das aus Saint-Geniez kam.
»Hoffentlich geht alles gut«, murmelte Justinien und klopfte sich auf seine Nase aus Lindenholz.
»Warum sollte es nicht? Ich habe dir gezeigt, wo und wie du schlagen mußt. Du schlägst, das ist schon alles.«
»Ich weiß, was ich zu tun habe, aber ich habe Angst, es schlecht zu machen.«
»Hör auf, dich zu quälen. Ich sage es dir noch einmal, es ist wirklich einfach. Sieh ihn dir doch an, er ist ein schmächtiges Bürschchen.«
»Los, Bruder, macht schon!« schimpfte der Hauptmann und stampfte mit den Füßen.
Als die Sterbegebete gesprochen waren, segnete der Barmherzige Bruder den Verurteilten und half ihm, sich zu erheben. Justinien stellte sich hinter ihn. Sie setzten sich in Bewegung.
In dem sonnendurchfluteten Hof hatten vierzig Milizsoldaten in zwei Reihen Stellung bezogen. Der Hauptmann bestieg sein Pferd.
» Seid Ihr bereit?« fragte er und sah dabei Justinien an.
»Ich glaube schon ... «
Der Soldat wollte schon den Befehl geben, die Tore zu öffnen, als der junge Mann ihn daran hinderte.
»Entschuldigt, edler Hauptmann, aber ich habe noch etwas vergessen.«
Er lief zum Turm hinüber und kam fast sofort wieder heraus. Er wirkte fahrig und hatte jetzt die Stange, die Fesseln und die Handschuhe bei sich. Der Hauptmann warf ihm einen vernichtenden Blick zu, enthielt sich aber jeden Kommentars. Er gab den Männern, die an den Toren standen, ein Zeichen. Die schweren Scharniere bewegten sich in ihren Angeln. Ein ungeheures Gebrüll hob an:
»Da ist er! Da ist er! « schrie die Menge, die nur mit Mühe von einem Spalier Wachsoldaten zurückgehalten werden konnte.
Auf dem freien Platz, der noch blieb, standen ungefähr zwanzig Büßer in schwarzen Kutten. Sie stimmten ein Salve Regina an und setzten sich an die Spitze des Zuges. Ihnen folgte der Hauptmann, dann kamen Justinien und sein Gefangener, die von Milizsoldaten flankiert wurden; als letzter ging der Barmherzige Bruder mit seinem schweren Kruzifix. Menschentrauben klebten an den Fenstern, und man zeigte mit Fingern auf sie.
»Da ist die Bestie! In die Hölle mit ihm! In die Hölle!«
Justinien, der sich ein paar Schritte hinter Galine hielt, zog seinen Hut noch etwas tiefer ins Gesicht. Plötzlich begann Galine, als ob der Wahnsinn ihn gepackt hätte, eine wunderliche Sarabande zu tanzen. Als man begriff, warum (das Pflaster, das von der Sonne aufgeheizt war, verbrannte ihm seine nackten Füße), löste das allgemeine Heiterkeit aus.
»In der Hölle wird es schlimmer sein«, rief ihm ein Mann zu, der hoch oben auf dem Vordach einer Färberei stand.
»Seht nur den Henker! Man könnte meinen, er will Gründlinge fischen!« schrie ein anderer und deutete auf Justinien, der seine Stange geschultert hatte.
Das Lachen wurde noch lauter. Selbst die, die nichts sehen konnten, fielen solidarisch in das schallende Gelächter mit ein.
Die Büßer verließen gerade die Rue du Paparel und bogen in die Rue Magne ein, an deren Ende sich der Place du Trou befand, als Galine - der herumtänzelte, weil er versuchte, seine Füße möglichst zwischen die glühendheißen Pflastersteine zu setzen - ihm mit tiefer Stimme zuflüsterte:
»Töte mich rasch, und meine Familie wird dir dafür zehn Louisdors geben.«
Zehn Louisdors! Das wären ja zweihundertvierzig Livres, viertausendachthundert Sols, siebenundfünfzigtausendsechshundert Deniers oder hundertfünfzehntausendzweihundert Oboles ... Die Summe war derart beachtlich, dass Justinien Mühe hatte, sie sich vorzustellen. Er reagierte nicht.
Schließlich kamen sie auf dem Platz an, in dessen Mitte bereits das riesige Schafott von Maître Calzins prangte. Der Baron und alle seine geladenen Gäste von Rang hatten sich auf dem Balkon des Amtsgebäudes des Prévôt niedergelassen, der reich geschmückt war mit den Wappen der Boutefeux und denen des Grafen und Bischof von Rodez.
Bedienstete in Livréen gingen herum und boten Erfrischungen an: Anisgebäck, Törtchen, die nach Orangenblüten dufteten und mit Schafskäse belegt waren, Schälchen voller Erdbeeren aus dem Wald von Ribaudins, die man in Bordeaux-Wein eingelegt hatte. Zu ihren Füßen hatte sich bereits seit den frühen Morgenstunden eine riesige Menschenmenge eingefunden,
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