Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
Vom Netzwerk:
seinen Männern, um sie zur Verfolgung anzuspornen.
    Adèle, die von einer Kugel am Oberschenkel getroffen, von den Dornen zerkratzt und vollkommen außer Atem war (sie war es nicht gewohnt, so schnell zu laufen), kroch unter ein dichtes Dornengestrüpp, wo sie sich auf den Boden drückte und ihrem Sohn ins Ohr flüsterte:
    » Mach keinen Lärm, mein Liebling, mach keinen Lärm! «
    Sie spürte, wie das Blut über ihren Schenkel lief, und fragte sich, ob die Verletzung wohl schwer war. 0 Gott, was würden sie mit Henri und Antoine machen? Wie hatte so etwas passieren können, dabei waren sie doch so glücklich gewesen? Wenn sie an Henris von Brandblasen entstelltes Gesicht dachte, glaubte sie ohnmächtig zu werden. Ihre Verfolger konnten sich nicht vorstellen, daß sie sich so nahe der »Pierre-Creuse« versteckt hatte, und liefen um das dunkle Dornengestrüpp herum.
    Eine gute Weile später hörte Adèle sie zurückkommen. Einer lief nur wenige Zoll von ihr entfernt vorbei und schimpfte mit starkem provenzalischen Akzent:
    » Der Hauptmann wird wütend sein! «
    Und tatsächlich hörte sie einige Augenblicke später das Brüllen des Mannes, der Henri verbrüht hatte:
    »Saubande! Das zwingt uns, noch heute nacht aufzubrechen. Außerdem haben wir überall gesucht und nichts Brauchbares gefunden. Aber Menschen, die von einem bestickten Tischtuch essen und in einem richtigen kleinen Haus reisen, haben auf alle Fälle verstecktes Geld bei sich. Dieser Hurensohn muß reden! Aber jetzt müssen wir uns zuerst beeilen und die Lichtung erreichen. Los, ihr Taugenichtse, schiebt den Wagen, und zwar etwas plötzlich!«
    Saturnin, der dicht neben ihr lag, bewegte sich und einige Reiser knackten.
    »Beweg dich nicht! Sie können uns hören, ich höre sie ja auch. Versuch zu schlafen.«
    Ein Schmerzensschrei gellte durch die Nacht. Sie glaubte Henris Stimme zu erkennen. Das Geräusch der eisenbeschlagenen Räder auf den Kieselsteinen verlor sich in der Ferne und gab ihr zu verstehen, daß die unmittelbare Gefahr vorüber war. Ihre Angst ließ nach, und ihr Gehirn begann wieder zu arbeiten. Sie fror.
    Da die Nacht jetzt wieder still geworden war, versuchte sie aufzustehen, doch ihre Kräfte reichten nur zu einer schwachen Bewegung aus. Die Lage schien ihr verzweifelt. Sie hätte Hilfe holen, die Gendamerie verständigen, die Banditen verfolgen, Henri und Antoine retten müssen. Sie stöhnte. Die Betäubung, die der Einschlag der Kugel verursacht hatte, wich langsam, und ein brennender Schmerz trat an ihre Stelle. Doch dieser Schmerz half ihr, gegen die unwiderstehliche Müdigkeit anzukämpfen, die sie überfiel. Da er sich an der Brust mit dem vertrauten Geruch in Sicherheit fühlte, war Saturnin schließlich eingeschlafen. Er atmete tief und gleichmäßig.
     
    Als er aufwachte, war es Tag. Auf den Dornen schimmerte der Morgentau, und in den Bäumen über ihm zwitscherten die Vögel.
    » Ich habe Hunger«, sagte er und hob den Kopf, um seine Mutter anzusehen.
    Diese starrte ihn aus wässrigen Augen mit einem Blick an, den er an ihr nicht kannte, und trotz ihres geöffneten Mundes blieb sie still.
    »Mama, ich habe Hunger. Wann gehen wir?«
    Da sie sich nicht bewegte, nahm er an, daß sie schlief. Dann sah er voller Entsetzen Ameisen in und aus ihren Nasenlöchern und ihrem Mund kriechen.
    »Da dürft ihr nicht hineingehen«, schimpfte er und versuchte zappelnd, sich aus den Armen, die ihn umschlossen, zu befreien.
    Es gelang ihm nicht, die starren Arme schlossen ihn ein wie ein Käfig. Auch ein weiterer Versuch, sich ihnen zu entwinden, war vergeblich. Er schrie auf, als er spürte, wie eine Ameise über seinen Hals krabbelte. Dann schlummerte er ein und schreckte später durch das Gepolter der Postkutsche auf dem Weg von Millau nach Rodez auf, die mit voller Geschwindigkeit an der »Pierre-Creuse« vorbeidonnerte. Die Sonne stand hoch am Himmel, und ihre Strahlen drangen durch das Unterholz und das Dornengestrüpp.
    »Ich will nach Hause, Mama. Ich habe Hunger... Es ist nicht schön hier ... «
    Er weinte und fiel dann erneut in einen unruhigen Schlaf. Als er die Augen wieder öffnete, war es Nacht. Er hatte große Angst, da er glaubte, in der Dunkelheit, die ihn umgab, hohnlachende Monster zu entdecken.
    »Mama, Mama«, murmelte er, ehe er in eine schützende Benommenheit versank.
    Im Morgengrauen hörte er die Schnittholzsäger auf dem Weg, der sich ganz in der Nähe des Dornengestrüpps durch den Wald schlängelte, doch er

Weitere Kostenlose Bücher