Die rechte Hand Gottes
hatte Angst und rührte sich nicht. Viel später, als er Hundegebell hörte, das ihn an Griffu erinnerte, glaubte er zu träumen. Dann hörte er Pferdgetrappel im Hochwald und plötzlich eine Stimme: » Ich sehe sie! « rief Hippolyte. »Adèle, Saturnin, wir sind es! «
» Beim Heiligen Vater! Es sieht so aus, als wären sie tot! «
»Aber nein, sieh doch, sie bewegen sich! «
Die spitzen Dornen des Brombeergestrüpps zerkratzten sie, doch schließlich gelang es ihnen, die Körper freizulegen. Sie stellten Adèles Tod fest und den beunruhigenden Erschöpfungszustand des Kindes.
Casimir deutete auf das Kleid, auf dem sich ein großer, getrockneter Blutfleck abzeichnete.
»Die Kugel muß die Oberschenkelarterie durchschlagen haben. Sie ist verblutet.«
» Es ist alles gut, Saturnin, komm, mein Junge «, sagte Hippolyte und kniete nieder, um dem Jungen zu helfen, sich aus der Umarmung seiner Mutter freizumachen.
Dann verstand er.
»Adèles Arme sind hart wie Eisen. Wir müssen sie brechen, wenn wir den Jungen rausholen wollen. Kommt und helft mir, statt Löcher in die Luft zu starren. Und du, mein junge, mach die Augen fest zu.«
Die Knochen zersplitterten mit einem grauenvollen Geräusch, das ihnen ihr Leben lang in den Ohren widerhallte.
Das Kind zitterte und war zu schwach, um zu laufen. Sie mußten es zum Landauer tragen, wo sie es in Decken einhüllten. Auf der Rückfahrt beruhigte es sich langsam und nahm einige Löffel Honig und etwas Zitronenwasser zu sich. Als sie mitten in der Nacht ankamen, schimmerte hinter den Fenstern des Herrenhauses Licht. Zwei Gendarmen tranken in der Küche Kaffee, ein dritter saß, den Kopf auf die Arme gelegt, neben der Feuerstelle und schlief. Berthe lag in ihrem Zimmer auf dem Bett, die Schuhe noch an den Füßen, die Augen geöffnet. Ihr Körper war ebenso steif wie der von Adèle.
»Wir sind hergekommen, um zu fragen, was mit den Leichen geschehen soll, und da haben wir sie auf der Treppe gefunden, aber sie war schon eine Weile tot. Der Arzt hat gesagt, daß ihr Herz nicht mehr mitgemacht hätte«, erklärte der Gendarmeriehauptmann. »Da niemand zu Hause war, hat der Kommandant uns befohlen, hier zu warten.«
Erschüttert streichelte Hippolyte die Stirn der Verstorbenen, dann versuchte er, ihr die Augen zu schließen, doch es gelang ihm nicht.
»Sie hätten meine Schwiegertochter verständigen können, damit sie sie aufbahrt und bei ihr wacht.«
»Der Kommandant hat gesagt, er würde sich darum kümmern, aber es ist niemand gekommen.«
Léons Wangen wurden dunkelrot. Er wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Die Beisetzung von Berthe, Henri, Adèle und Antoine fand am übernächsten Tag in der Kirche von Saint-Laurent statt, wo die Pibracs ihre festen Betstühle hatten (seit der Revolution in der ersten Reihe, unter dem Ancien Régime in der zweiten). Es war ein Privileg, das sie nicht ihrem Stand, sondern ihrem Reichtum verdankten.
Dann wurden die vier Särge in die Familiengruft gebracht, wo man sie neben die anderen stellte. Der letzte war der von Clémence, der Witwe von Justinien V. und Mutter von Justinien VI. und Hippolyte, die vor zwei Jahren an einer Angina gestorben war.
Noch am selben Tag gegen Abend fuhr Hippolyte nach Bellerocaille zurück und begab sich zur Gendarmerie, um zu erfahren, wie weit die Untersuchung gediehen war. Die Jagd nach der Bande hatte bisher zu keinem Ergebnis geführt, außer, daß man Zéphir und Pompon wiedergefunden hatte.
»Aber wir geben die Hoffnung nicht auf. Wenn es sein muß, werden wir die Armee einschalten«, versicherte ihm Calmejane, während er ihn zur Tür begleitete. »Was werden Sie mit ihrem Enkel machen?«
»Er wird bei seinem Onkel wohnen ... vorübergehend« sagte der alte Scharfrichter, doch in seiner Stimme schwang ein gewisser Vorbehalt.
Der Kommandant war mit dieser Entscheidung zufrieden. Das Kind war zu klein, um nur mit zwei alten Männern und einem Hund von der Größe eines Fohlens im Herrenhaus zu wohnen.
Eine Woche war seit der Entdeckung der Schnittholzsäger vergangen, als die Feldhüter an allen Kreuzungen und auf allen Plätzen die Trommel schlugen und mit lauter Stimme verkündeten, daß Monsieur Hippolyte Pibrac dem, der Hinweise geben könnte, die zur Verhaftung der Mörder seines Sohnes, seiner Schwiegertochter und seines Enkels führten, eine Belohnung von fünftausend Francs in Goldstücken bot (»Ich wiederhole: fünftausend Francs in Goldstücken! «).
Doch damit
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