Die rechte Hand Gottes
wirklich vortrefflich ...
Sobald die Guillotine in einem verriegelten Schuppen des Rathauses untergebracht und die amtlichen Papiere ausgefüllt worden waren, rollte der Wagen durch die Rue Droite in Richtung Unterstadt und Pont de la République.
» Donnerwetter! « staunte Anatol, als an der Kreuzung des jüngsten Gerichts das Herrenhaus vor ihnen lag. «Das ist ja noch viel eindrucksvoller, als ich es mir vorgestellt habe.«
Das Essen war in bester Stimmung zu Ende gegangen. Jetzt rauchten Hippolyte und Anatole und unterhielten sich, die Gehilfen hatten die Gürtel aufgeschnallt, kosteten den Pflaumenschnaps und hörten ihnen zu. Ihr Gastgeber hatte sich wirklich Mühe gemacht: Zuerst hatte man ihnen eine Knoblauchsuppe mit Croutons serviert, dann folgten verschiedene Wurstsorten, die sie mit einem Brot gegessen hatten, das so gut war wie Kuchen. Anschließend hatte man einen Hasen gereicht, der mit einem in Olivenöl gegarten und mit gebräuntem Knoblauch bestreuten Maronenmus angerichtet war. Es folgten ein Endiviensalat und fünf Käsesorten und zu guter Letzt ein Blätterteigkuchen mit Marzipanfüllung, der das Herz eines jeden Leckermauls höher schlagen ließe. Sie tranken einen ausgezeichneten Rotwein. Die staubigen
Flaschen trugen ein Etikett mit dem Familienwappen und der Aufschrift »Clos Pibrac«.
Zwar hatten alle bemerkt, daß Hippolyte nur Wasser trank, doch das verwunderte niemanden. Alle Anwesenden kannten den Grund für seine Abstinenz: Als Hippolyte im Alter von nur fünfundzwanzig Jahren den Befehl bekommen hatte, eine junge Abtreiberin hinzurichten, hatte er geglaubt, gut daran zu tun, einige Gläser Rum zu trinken, um seiner Aufregung Herr zu werden. Alles ging gut, bis zu dem Augenblick, da die Frau die Guillotine sah. Sie versuchte zu fliehen, und Hippolyte mußte recht hart zufassen. Der Alkohol hatte seine Aufmerksamkeit getrübt, so daß er eine Ungeschicklichkeit beging, die das Weib ausnutzte, um ihn grausam in die rechte Hand zu beißen. Der Biß war so furchtbar, daß man das erste Glied des kleinen Fingers und die beiden ersten des Ringfingers hatte abnehmen müssen.
Draußen pfiff der Wind in heftigen Böen, verfing sich im Schornstein und heulte wie ein Drac, der in eine Falle geraten war. Casimir legte einige Holzscheite im Kamin nach. Hippolyte trank einen Schluck von seinem Brennesseltee, ehe er seine Schimpftirade über das Gesetz von 1872 fortsetzte, das den Gebrauch des Schafotts verbot und die Henker zwang, direkt auf dem Boden zu arbeiten.
»Ich erinnere mich, daß ich mir damals gesagt habe >Das ist der Anfang vom Ende<. Denn ich bitte dich, Anatole, das Blutgerüst ist schließlich das Merkmal der abschreckenden Strafe. Und die Abschreckung ist nicht von der Anziehungskraft zu trennen. Man könnte meinen, sie schämten sich ihrer Verurteilungen und wollten die Leute entmutigen, der Hinrichtung beizuwohnen. Nimm nur die unmögliche Zeit, zu der sie dich morgen köpfen lassen. Sieben Uhr morgens! Warum nicht gleich still und heimlich um Mitternacht, so als wären wir Mörder.«
»Sie wissen gar nicht, wie nahe Sie der Wahrheit sind. Im Justizministerium gibt es seit einiger Zeit Gerüchte: Es geht darum, die Öffentlichkeit auszuschließen und die Hinrichtungen im abgeschlossenen Gefängnishof vorzunehmen.«
Hippolyte machte große Augen:
» So viel Unverantwortlichkeit erschreckt mich. Doch das Schlimmste steht uns noch bevor, wenn dieser Kauz von Fallières gewählt werden sollte.«
» Ich weiß, ich weiß! « sagte Anatole finster.
Armand Fallières war ein entschlossener Gegner der Todesstrafe, genauso wie Victor Hugo, der für Hippolyte ein rotes Tuch war. Als der Poet 1885 gestorben war, hatte man in der Kirche von Saint-Laurent eine Gedenkmesse für ihn gelesen, an der Hippolyte, ganz in rot gekleidet, teilgenommen hatte. Während des Gottesdienstes hatte er auffallend hämisch gegrinst und den Gottesdienst vor dem Ende verlassen, wobei er seine eisenbeschlagenen Stiefel laut auf dem Steinboden hatte knallen lassen. Die Zeitungen hatten sein Verhalten gegeißelt. Casimir hatte alle Artikel ausgeschnitten und sie in die dafür vorgesehenen Hefte geklebt. Bei den Pibracs wurde wirklich nichts weggeworfen.
Anatole drehte sich eine x-te Zigarette und sagte sich wieder einmal, daß er wirklich zu viel rauchte, als Hippolyte ihn ohne Umschweife fragte:
» Ich habe eine Bitte. Aber zuvor mußt du wissen, daß ich es dir in keiner Weise übelnehme, wenn du
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