Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
Vom Netzwerk:
doppelläufigen Büchse am Riemen und hohen Stiefeln neben ihm. Beide waren von dem Schauspiel dieser Maschine - man behauptete, daß sie die Milch der Kühe im Euter sauer werden ließ - gefesselt.
    Obwohl der Bahnsteig voller Menschen war, hatte sich um sie herum ein »natürlicher« Abstand gebildet.
    Unter wildem Quietschen und Kreischen der Bremsen und mit fauchenden Rauchwolken kam die Lokomotive zum Stehen. Die Reisenden stiegen aus. Ein bewegtes Treiben folgte. Langsam leerte sich der Bahnhof, und bald blieben nur noch Hippolyte und Casimir zurück, die sich nicht vom Fleck gerührt hatten. Da öffnete sich die Tür der ersten Klasse, und ein gutgekleideter, fülliger Mann von etwa vierzig Jahren, mit freundlichem Gesicht, rotem Schnäuzer und Kinnbart und einem Zylinder auf dem Kopf stieg aus. Vier Männer mit Melonen folgten ihm.
    »Da sind sie! « rief Hippolyte und ging ihnen mit einem Willkommenslächeln entgegen.
    Er hatte Anatole Deibler zum letzten Mal im vergangenen Jahr während der Weltausstellung getroffen.
    Louis Deibler, sein Vater, stammte aus einer alten Henkersfamilie aus Württemberg und hatte in Paris innerhalb von neunzehn Jahren einhundertvierundfünfzig Köpfe rollen lassen. Als sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, übertrug er das Amt seinem Sohn Anatole, der schon seit sechs Jahren sein Gehilfe war.
    »Wie geht es deinem Vater « fragte Hippolyte, nachdem sie sich herzlich die Hände geschüttelt hatten.
    » Mal so, mal so «, antwortete Anatole, » doch als er gehört hat, daß wir hier eine Hinrichtung durchführen würden, wollte er uns unbedingt begleiten. Rosalie ließ seinen Arzt holen, der es ihm dann verbot.«
    Der Bahnhofsvorsteher unterbrach ihr Geplauder, um zu
    fragen, was er mit dem » Gepäck « der Herren machen sollte, Er wagte es nicht, das Wort Guillotine auszusprechen.
    »Du kannst es in unseren Wagen bringen lassen. Darum sind wir mit ihm gekommen «, schlug Hippolyte Deibler vor. »Wir können sie am Rathaus abladen, ehe wir zum Herrenhaus fahren.«
    Anatole war über diese feinfühlige Aufmerksamkeit äußerst erfreut. Da er recht geizig war, hatte er schon befürchtet, einen Wagen mieten zu müssen, und das hätte sicherlich seiner Börse einen harten Schlag versetzt. Sagte man nicht in Paris, daß die Menschen in Aveyron doppelt so viel verlangten wie die in der Auvergne?
    » Ich habe ihnen zwar wieder und wieder in allen Tonlagen vorgebetet, daß es praktischer und billiger wäre, wenn du unsere Guillotine benutzen würdest, aber diese dummen Beamten wollten nichts davon hören«, erklärte Hippolyte, während sie das Ausladen der Kisten auf dem Bahnsteig und ihren Transport zu dem Kutschwagen überwachten. Hippolyte hatte ihn neu gestrichen, nachdem ihn die Gendarmen bei den Banditen gefunden und zurückgebracht hatten.
    Die Fahrt vom Bahnhof in die Oberstadt zum Place du Trou, wo das Rathaus lag, war für die Gäste aus Paris von einem gewissen ungewöhnlichen Reiz.
    Wie bei Laragne-Garou, der Hexe, die bisweilen in die Stadt kam, um sich mit einigen lebensnotwendigen Waren einzudecken, waren auch Hippolytes seltene Besuche Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. »Ich habe den Henker gesehen«, erzählten sich die, die ihn getroffen hatten, so als würden sie sagen: » Ich habe eine schwarze Katze unter einer Leiter durchhuschen sehen.« Hippolyte saß kerzengerade, mit undurchdringlichem Gesicht auf seinem Sitz und antwortete den wenigen, die es wagten, ihn zu grüßen, mit einem knappen Kopfnicken. Zumeist waren es Menschen, denen er durch seine Fähigkeiten im Gliedereinrenken geholfen hatte.
     
    »Seht euch die Alte an!« rief Léopold, der erste Gehilfe.
    »Sie hat sich bei unserem Anblick bekreuzigt. Hier geht es ja noch zu wie im Mittelalter! «
    Anatole hingegen fiel mehr das Tempo auf, mit dem die anderen Kutschen dem rot-schwarzen Kastenwagen Platz machten. So etwas hätte man in Paris nicht erlebt. In Paris erkannte ihn außer einigen Schreibern und seinen Nachbarn niemand. Er beneidete den alten Mann, der so friedlich sein Dasein als Ausgestoßener genoß. Ich hoffe, daß ich in seinem Alter ebenso rüstig sein werde. Allerdings hätte ich sicher nicht die Kühnheit, mir die Haare zu färben, falls mir trotz der Geschwindigkeit, mit der ich sie im Augenblick verliere, überhaupt noch welche bleiben sollten. Und dieser Casimir! Welche Haltung, welche Überlegenheit! Ein wahrer Henkersknecht, wie er im Buche steht! Ah, die beiden sind

Weitere Kostenlose Bücher