Die rechte Hand Gottes
sich rühmt, die Büste von Robespierre in seinem Wohnzimmer zu haben.«
»Und welcher Beschäftigung ging Ihr Vorfahr nach, ehe er Henker wurde?«
»Oh, die Geschichte hat er im ersten Teil seiner Erinnerungen berichtet. Er war öffentlicher Schreiber.«
»Und welchen Beruf hatten seine Eltern?«
Léon antwortete nicht gleich. Malzac aß noch ein paar Kekse, auch wenn es seiner Linie schadete, die in letzter Zeit etwas rundlicher geworden war.
»Wir wissen nichts über sie«, sagte Léon schließlich nachdenklich. »Ein Teil der Dokumente, die in den Archiven des Lehnsherrn und der Gemeinde gesammelt worden waren, wurde während der Revolution zerstört. Es ist nicht einmal sicher, daß wir aus Bellerocaille stammen. Im übrigen ist Pibrac kein typischer Name für das Rouergue, sondern eher für die Haut-Garonne.«
» Sagte Ihr Vorfahr und Begründer in seinen Erinnerungen nichts darüber?«
»Ich weiß es nicht.«
»Haben Sie sie denn nie gelesen?«
» Nein, aber selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich es gar nicht können. Nur das Familienoberhaupt darf den Schrank mit den Erinnerungen öffnen. Und als ich in diesem Alter war, hatte ich das Haus schon verlassen und war hier Bäckerjunge.«
»Kennen Sie die Gründe für dieses Verbot?«
»Nein ... Aber vielleicht liegt es daran, daß einige Passagen nicht für Kinder geeignet sind. Nach den Stellen zu urteilen, die uns unser Vater vorgelesen hat, war der Erste ein verdammter Haudegen, der mit seinen Ausdrücken nicht gerade zimperlich war.«
Léon runzelte die Stirn und bewegte den Zeigefinger in der Luft wie jemand, der sich plötzlich an etwas erinnert.
»Um auf die Vorfahren des Ersten zurückzukommen, so ist der einzige Hinweis, den wir haben, der Name Jules Pibrac. Er ist in den Griff des Messers eingraviert, das ich in den Brunnen habe fallen lassen.«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»In unserem Stammbaum gibt es keinen einzigen Jules, aber nach der Tradition hat dieses Messer dem Ersten gehört. Als ich meinem Vater diese Frage gestellt habe, hat er mir geantwortet, daß er mir diese Sache später erklären würde, wenn ich alt genug wäre, um sie zu verstehen.«
Malzac zog ein Notizbuch aus seiner Jackentasche und schrieb eine kurze Bemerkung hinein, die mit einem Fragezeichen endete. Er liebte Geheimnisse, und in dieser Familie gab es offensichtlich mehr als genug davon.
» Ich muß Ihren Vater treffen.«
»Wie stellen Sie sich das vor? Er wird Sie nie empfangen.«
»Ich könnte mich als Journalist ausgeben.«
»Bloß nicht, er verabscheut die Presse.«
»Aber ich muß ihn treffen. Ich werde mir irgendeinen Vorwand überlegen.«
Léon horchte auf.
»Mit Verlaub, Herr Anwalt, wenn Sie von diesem Vorhaben keinen Abstand nehmen wollen, rate ich Ihnen, nicht irgendeinen beliebigen Vorwand zu erfinden. Wenn mein Vater schon mißtrauisch ist, so warten Sie, bis Sie erst Casimir kennengelernt haben.«
Sobald er nach Albi zurückgekehrt war, schrieb Nicolas Malzac an Hippolyte und bat ihn um eine Unterredung. Er stellte sich als geschichtsbegeisterter Jurist vor, der auf der Suche nach Material für ein Werk war, das das Ziel hatte, »Die allzuoft verdrehte Wahrheit über Hinrichtungen« richtigzustellen.
Hippolyte antwortete postwendend. Sein Brief begann mit den Worten:
»Endlich geruht die Geschichte, sich für uns zu interessieren. Lange genug hat es gedauert.« Einige Details erstaunten den Anwalt: Der Brief war auf feinem Velinpapier aus der Haut eines totgeborenen Kalbs geschrieben. Das in Silber und Rot eingelassene Familienwappen tauchte im Kopf des Briefbogens und auf dem Umschlag auf. Es war durch ein Kreuz geteilt, und im oberen rechten Feld war ein Herrenhaus mit zwei Türmen zu sehen, im Linken las man auf Galgenbalken die Inschrift: Gott und wir allein richten. Das untere rechte Feld zeigte eine Pyramide aus grinsenden Totenköpfen, und das gegenüberliegende linke einen Galgenarm mit Leiter. Die Schrift war groß, steil und deutlich, der Brief war fehlerlos geschrieben. Der alte Henker ermunterte ihn zu kommen, »wann immer Sie wollen«, doch er zeigte sich seinem Plan gegenüber skeptisch: »Was auch immer Sie schreiben mögen, selbst wenn es die Wahrheit ist, so wird es doch nicht die Meinung der Menschen ändern. Das Vorurteil ist ein Erbe, das unsere Aufgabe begleitet. Es wird erst mit dem Letzten unseres Standes verschwinden, und das wird trotz des Dekrets Crémieux nicht morgen sein.«
Malzac nahm erneut den
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