Die rechte Hand Gottes
geworden war. Er hätte ein friedliches Leben führen und sich ganz seiner Leidenschaft, den Antiquitäten, widmen können, wenn er nicht schon in seiner Kindheit Geschmack an Spitzfindigkeiten und Verworrenheiten gefunden hätte, was ihn dazu bewegte, das Studium der Rechte aufzunehmen.
Malzac verdankte seinen Ruf einem Prozeß, den er selbst gegen die allmächtige Eisenbahngesellschaft angestrengt
hatte, weil seine Fahrkarte von einem Schaffner gelocht worden war. Nachdem er mit Brillanz nachgewiesen hatte, daß diese Fahrkarte, wenn sie einmal gekauft war - ebenso wie ein Haus, ein Pferd oder eine Briefmarke -, zum unantastbaren Eigentum ihres Besitzers wurde, hatte Malzac die Eisenbahngesellschaft der Minderung von Privateigentum bezichtigt und einen hohen Schadensersatz gefordert.
»Wenngleich das Gesetz Sie auch ermächtigt, die Fahrscheine zu kontrollieren, so gibt es Ihnen doch keineswegs das Recht, sie mit einem Loch zu versehen.«
Er hatte gewonnen. Als Schadensersatz war ihm ein Fahrausweis auf Lebenszeit ausgestellt worden, der ihn berechtigte, unentgeltlich auf dem gesamten Streckennetz (sechsunddreißigtausend Kilometer) zu reisen.
Zunächst suchte der Anwalt aus Albi nach einer Schwachstelle in Léons Dossier. Da er nichts fand, las er wieder und wieder die entsprechende Vorschrift und studierte die Archive auf der Suche nach Präzedenzfällen. Schließlich weitete er seine Untersuchung auf den Beruf des Henkers aus. Die wenigen Dokumente, die er fand, brachten ihn nicht weiter.
Alphonse Chopette, der ehemalige Bezirkshenker, der seit dem Erlaß des Dekret Crémieux aus dem Jahre 1870 im Ruhestand war, weigerte sich, ihn zu empfangen. Malzac mußte seinen Onkel, den Oberstaatsanwalt einschalten, der Chopette dazu brachte, seine ablehnende Haltung aufzugeben. Schließlich erzählte der alte Mann ihm etliche Geschichten, die geeignet waren, einen nachts zähneklappernd aus dem Schlaf fahren zu lassen. Nach den Pibracs befragt, erging er sich in Lobreden über sie.
»Was der Siebte mit diesem Thomas gemacht hat, ist vorbildlich. Auf diese Art sollte man allen den Kopf abschlagen, so daß sie sehen, wie der Tod von oben auf sie zukommt! Genau! Ich an seiner Stelle hätte dasselbe getan, wäre meine Familie von ihm getötet worden. Man sagt, daß der Kerl noch Zeit genug hatte, in die Hosen zu machen! Da kann ich nur sagen: Bravo, Hippolyte!«
Die Begegnung hatte Malzac kaum weitergeholfen, und so fuhr er mit dem Zug nach Bellerocaille und mietete dort einen Wagen, der ihn in die Rue du Dragon, zur Bäckerei Arsène Bouzouc brachte.
»Sie hätten Ihren Besuch ankündigen sollen, dann hätte ich Sie doch vom Bahnhof abgeholt«, hielt ihm Léon vor und bat ihn in den Salon im ersten Stock.
Hortense servierte höchstpersönlich Portwein und einen Teller Datteln mit Mandelfüllung, die neueste Spezialität des Hauses.
»Haben Sie Neuigkeiten, Herr Anwalt«, fragte Léon schließlich hoffnungsvoll.
» Es ist noch zu früh. Im Augenblick bin ich damit beschäftigt, Fakten zu sammeln, und das ist auch der Grund meines Besuches. Ich muß mehr über Ihre Familie erfahren.«
»Was wollen Sie denn wissen?« fragte Léon widerwillig.
»Ehrlich gesagt, weiß ich das selbst nicht so genau. Erzählen Sie mir zum Beispiel von Ihrer Kindheit. Wie wurden Sie erzogen?«
»Ich spreche nicht gerne über diese Dinge. Ist das denn wirklich notwendig?«
»Vielleicht... das kann ich im Augenblick noch nicht sagen. Haben Sie Geschwister?«
»Wir waren drei Jungen: Justinien, ich und Henri. Als Justinien an Wundstarrkrampf starb, war ich erst ein Jahr alt. Ich war nun der Älteste. In einer Familie wie der unseren ist das bedeutsam. Wäre das Dekret Crémieux nicht gewesen, wäre ich heute Léon I., der Achte. Und ich hätte sicherlich kein Mehl an den Händen.«
»Ich verstehe ... War es Ihr Vater, der Ihnen das Bäckerhandwerk empfohlen hat?«
» Man merkt, daß Sie ihn nicht kennen. Er glaubt noch heute daran, daß die Regierung irgendwann wieder die Kommissionen in den Provinzen einsetzen und die Familie dann wieder ihres Amtes walten wird. Also wurde ich nach dem Tod meines Bruders der Tradition entsprechend erzogen. Und jetzt, da er nicht mehr auf mich rechnen kann, setzt er seine Hoffnung auf meinen Neffen Saturnin ... Was ich Ihnen jetzt sage, klingt vielleicht sehr hart, aber ich bin überzeugt, daß er im Grunde genommen nicht allzu unglücklich darüber ist, daß Henri tot ist. Jetzt hat er seinen
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