Die Regenbogentruppe (German Edition)
das Wasser unser Deck überflutete.
Der Hafenmeister ließ nicht ab, wiederholte seinen Gebetsruf ein ums andere Mal – und langsam beruhigten sich die Wellen. Es war, als würden die furchtbaren Gischtkämme von den dunklen Wolken aufgesogen. Binnen Minuten lag das Meer vollkommen ruhig da, als habe es nie einen Sturm gegeben. Wir konnten es kaum begreifen.
Ich kannte Geschichten von den Sarong-Leuten, wie sie in Seenot Allah um Hilfe gebeten und er sie erhört hatte. Das hatten wir gerade selbst erfahren.
Inzwischen war die Nacht hereingebrochen. Der Bootsführer sah nach dem Mond und den Sternen am klaren Himmel, denn es war zwei Tage vor Vollmond. Er warf den Motor wieder an, und wir nahmen Fahrt auf.
Wenig später stellte er den Motor wieder ab und hielt mit scharfem, geübtem Blick Ausschau in Fahrtrichtung. Vor uns lag ein dunkler Schatten. Der Bootsführer wies nach vorn und rief mit kräftiger Stimme: »Lanun!«
*
Lanun war keine Insel, auf der man sich willkommen fühlte. Das langgezogene Geheul wilder Hunde war zu hören, mit dem sie die bösen Geister bannten, die überall herumliefen.
Von dem Ort ging eine geheimnisvolle Bedrohung aus. Man hatte das Gefühl, Gott fern zu sein, ihn zu verraten, ja sich gegen ihn aufzulehnen. Man glaubte, die Schmerzensschreie eines Tieres zu hören, das geopfert wurde, hatte einen üblen Geruch von Blut in der Nase, den Gestank von Leichen, die nicht bestattet worden waren, und das starke Aroma von Weihrauch zur Beschwörung des Teufels.
Der Ursprung des Hundegeheuls in der Einsamkeit der Nacht war schwer zu bestimmen. Einmal klang es wie ein weinendes Baby, ein anderes Mal wie eine Greisin, die vor den Flammen der Hölle um Gnade fleht. Jedenfalls jagte es uns Angst ein. Die magische Kraft von Tuk Bayan Tula, der in der Lage war, eine derart unheimliche Atmosphäre zu schaffen, war ungeheuer stark. Wie immer er auch aussehen mochte, ich musste zugeben, dass er außerordentliche Kenntnisse der übernatürlichen Welt besaß.
Wir drängten uns aneinander und folgten einem Fußweg zur Öffnung einer Höhle. Davor waren Palmblätter ausgebreitet. Wir wurden also erwartet und mussten das Risiko auf uns nehmen, nicht mit dem Leben davonzukommen.
In der Höhle flatterte ein dünnes Tuch, Rauch stieg langsam von einem Feuer mit feuchtem Holz auf, dann erschien eine große Gestalt. Sie bewegte sich, ohne die Erde zu berühren. Alle bezweifeln, dass es eine übernatürliche Welt gibt, aber ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein Mensch in der Luft schwebte, sich hin und her bewegte, vollkommen schwerelos. Es war Tuk Bayan Tula.
Ehrerbietig reihten wir uns vor ihm auf. Er trug einen schwarzen Kain . Seine Haare, sein Schnurrbart und der dichte, verworrene Kinnbart waren von grauen Strähnen durchzogen. Er hatte stark hervortretende Backenknochen, die verrieten, dass er zu großer Grausamkeit fähig war, wilde Augenbrauen, die zeigten, dass er sich vor niemandem fürchtete, nicht einmal vor Gott. Das Auffälligste jedoch waren seine glänzenden, schwarzen Augen.
Der Magier zeigte nicht das geringste Anzeichen von Gastfreundlichkeit. Verzaubert sah ihn Mahar an, traute sich jedoch nicht, näherzutreten. Da stand Flo auf, nahm Mahar bei der Hand und zog ihn einfach zu dem Magier hin.
Ganz leise flüsterte Mahar Tuk Bayan Tula etwas zu. Der nahm jedoch keine Kenntnis davon. Er blickte hinaus aufs Meer, das im Mondschein glänzte. Mahar berichtete von der Todesgefahr, der wir uns ausgesetzt hatten, um ihn zu treffen. Seine Stimme war kaum zu hören: »Orkan … Wirbelsturm … gebrochener Mast … Gebetsruf …«
Tuk Bayan Tula hörte zu, aber ohne Interesse, wie es schien.
Mahar setzte seinen Bericht fort und kam zum Zweck unserer Fahrt: »Flo und ich … sollen von der Schule fliegen … Wir haben schon blaue Briefe bekommen, weil unsere Noten so schlecht sind … Wir bitten Sie um Hilfe, damit wir die Prüfung bestehen.«
Da wandte Tuk Bayan Tula plötzlich unvermutet sein Gesicht Mahar und Flo zu. Die beiden widerspenstigen Schüler wurden bleich. Tuk klopfte Mahar auf die Schulter und nickte. Mahar strahlte. Die Mitglieder der Societeit sahen mit Stolz, dass der von ihnen verehrte Magier ihren Vorsitzenden berührt hatte. Mahar begriff, was er tun musste. Er zog einen Bogen Papier und einen Stift hervor und übergab Tuk Bayan Tula beides mit allen Zeichen der Ehrerbietung. Der Magier nahm Papier und Stift und zog sich in größter Eile in die Höhle
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