Die Regentin (German Edition)
kann tun, was mir beliebt!«
Er zögerte nicht länger, bückte sich nach der Peitsche. Erneut stieß sie ihn zurück, so grob, dass er diesmal fiel, griff selbst danach und erhob sie.
»Nein, das wirst du nicht!«
Sie folgte der ersten Regung, die sie überkam, ließ die Peitsche hinabsausen, einmal, zweimal, dreimal, ängstigte sich nicht vor dem zischenden, pfeifenden Laut, auch nicht vor dem Geschrei des Sohnes. Sie schlug ihn – geleitet von der Ahnung, dass es ihre Pflicht war, ihn zu bestrafen... und von Genuss.
Unerklärlich war es ihr immer gewesen, wie Menschen Freude daran haben konnten, andere zu quälen, wie Herzen derart verroht sein konnten und Ohren taub gegen die Schreie der Geknechteten.
Jetzt wusste sie – sie waren nicht taub. Sie hörten die Schreie so gerne wie liebliche Musik, denn sie kündeten von Macht, von grenzenloser Macht. Jene Macht mochte berauschend sein, wenn sie Gewalt verhinderte. Doch diese Gewalt auszuüben war noch viel erregender.
Sie wusste später nicht, ob es ihr gelungen wäre, von sich aus aufzuhören.
Ein anderer machte ihrem Werk ein Ende. Fredegar fiel ihr in den Arm, nicht roh, aber entschieden.
»Meine Königin, meint Ihr nicht, es ist genug?«
Sie ließ sich rasch von ihm mäßigen. Seine Stimme weckte sie, der Zorn verflüchtigte sich, und das Grauen, das folgte, galt nicht mehr nur der Untat des Zweitgeborenen, sondern auch der eigenen.Niemand stellte sie zur Rede, und mit keinem wollte sie darüber sprechen. Einzig Rigunths Schweigen war ihr unerträglich. Weder klagte sie sie an, noch stellte das Mädchen Fragen, aber Bathildis hatte das Gefühl, ihr eine Erklärung schuldig zu sein.
»Ich konnte nicht dagegen an...«, murmelte sie, »als ich ihn so sah, so grausam, so herzlos... da konnte ich nicht dagegen an.«
Rigunth seufzte. »Ich weiß, meine Königin.«
»Ist es so«, setzte Bathildis nachdenklich an, »weil das Merowingerblut in ihm wütet – und du weißt, wie grausam all die Könige vor Chlodwig waren? Oder ist’s mein Erbe, das ihn so sein lässt?«
Sie erschauderte. Rigunth unwillkürlich auch. »Aber meine Königin! ... Du bist gütig! Du hast mich von der Sklaverei befreit!«
»Aber erinnerst du dich, dass ich dich auch einmal geschlagen habe?«
»Du warst von Sinnen...«
»So wie heute.«
Und ich, fügte sie im Stillen hinzu, wagte jedoch nicht, den schrecklichen Gedanken auszusprechen, ... ich habe es geliebt, ihn zu schlagen. Ich hätte ihn mit Freuden töten können für das, was er getan hat.
Hernach schwiegen beide. Über Stunden gab sich Bathildis den Schuldgefühlen hin, der bitteren Reue. Sie galt nicht nur der heutigen Tat, sondern den Jahren, da sie die ersten beiden Söhne vernachlässigt, nicht im Mindesten so geliebt hatte wie heute Theuderich. Irgendwann freilich reifte die Einsicht, dass es für manches unwiderruflich zu spät war, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als zumindest jetzt Einfluss zu nehmen.
Ruckartig fuhr sie auf.
»Was willst du tun, meine Königin?«
»Wenn Childerich bereits als Kind so grausam ist«, fragte Bathildiszurück, nicht länger mit schlechtem Gewissen, sondern nachdenklich, »wie wird er dann als König sein?«
»Er ist ein Kind«, entgegnete Rigunth.
»Ja«, sagte Bathildis wieder, »ja, sein Geist kann noch zu formen sein. Vielleicht aber auch nicht.«
Wieder blieb es eine Weile still zwischen ihnen, dann fragte Rigunth unwillkürlich: »Werden wir uns wieder auf Reisen begeben? Werden wir den Bischof von Noyon wieder besuchen?«
Bathildis hatte nicht darüber nachgedacht. Doch nun öffnete sie den Mund, als wäre die Antwort ganz selbstverständlich. »Nein«, bestimmte sie. »Ich werde in Zukunft mehr über die Erziehung meiner Söhne wachen...«
Geliebter Aidan,
meine Macht scheint mir mit einem Male schwer zu werden. Verlangt sie doch von mir, über das Heute hinaus eine Zukunft zu planen, an die ich bislang nicht habe denken wollen .
Habe ich mir nicht genug aufgebürdet, als ich daranging, gegen das Übel der Sklaverei zu wirken? Habe ich nicht genug getan, da ich begann, Klöster zu gründen und Kirchen?
Doch jetzt, jetzt muss ich begreifen, dass es neben der Pflicht der Königin auch die der Mutter gibt .
Bei den Merowingern ist es Tradition, dass nicht nur der älteste Sohn den Vater beerbt, sondern alle, die ihm geboren worden sind, dass folglich ein Land zerrissen und zerstückelt wird, wenn es mehr als nur einen Nachfolger gibt, und dass manch blutiger
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