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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Gemütsverfassung der Mutter auf ihr ungeborenes Kindlein übertrug, sondern auch ihre Moral? Dass sie nicht zu viel weinen dürfte, desgleichen nicht lachen, und vor allem nicht bei ihrem Ehemann liegen, weil ein Übermaß an Lust aus dem Kind ein sittenloses machte? Freilich – Childerich, dem Zweitgeborenen, war solche Gleichgültigkeitnicht nachzusagen. Er hatte Bathildis stets lebhafter und impulsiver gedeucht. Wo überhaupt saß er heute?
    Bathildis suchte seinen Kopf – und fand ihn nicht; einer der anderen Knaben berichtete gerade vom Heiligen Martinus von Tours, welcher seinen Mantel mit einem Bettler geteilt hatte und später zum Patron des Merowingerreiches wurde.
    »Wo ist Childerich?«, unterbrach Bathildis die Erzählung.
    Die Knaben senkten den Blick, konzentrierten sich ganz plötzlich auf die Wachstafeln, die auf ihren Schreibpulten lagen. Mit dem Lineal wurden Linien darauf gezeichnet und in diese später mit einem Holzgriffel Buchstaben geschrieben. Fredegar zuckte zusammen, und seine Bewegungen wurden fahrig.
    »Wir wollen jetzt aus der Lex Salica lesen und hernach daraus abschreiben«, sagte er betreten.
    »Aber... wo ist Childerich? Er muss doch wie die anderen an dem Unterricht teilnehmen?«
    Fredegar seufzte lang – bekundend, dass er wohl wusste, wo der Knabe steckte, aber nur ungern bereit war, dies zuzugeben.
    Er musste es nicht tun. Denn während Bathildis aufstand und forsch auf ihn zugeschritten kam, ertönten draußen vom Hof bittere Klagen und jämmerliches Geschrei.

XXIV. Kapitel
    Bathildis zuckte zusammen – die anderen nicht. Was immer diese Laute hervorrief, schien nur für sie selbst überraschend zu kommen. Ihre erste Regung war, sofort den Raum zu verlassen und die Quelle des Gejammers zu suchen. Dann fiel ihr jedoch die Macht ein, die in den beherrschten Regungen und stillen Worten lag, und sie trat vor Fredegar hin.
    »Was geht hier vor?«, fragte sie leise.
    Er seufzte wieder, mehr verlegen als schuldbewusst, und zuckte dann mit den Schultern, andeutend, dass er missbilligte, was immer da draußen im Hofe geschah, aber doch nichts dagegen tun konnte. Childerich war der Sohn des Königs, dem man seine Launen lassen müsse, ob dies die eigene Mutter nun erfreute oder nicht.
    »Der Prinz ist damit beschäftigt... einen Diener zu züchtigen«, sprach er, und es klang so vorsichtig wie begütigend.
    Bathildis erstarrte.
    »Für welches Vergehen?«
    Fredegar schüttelte den Kopf – er kannte es offenbar nicht. An seiner Stelle sprach Chlothar. Das Geschrei ließ ihn so gleichmütig wie alles andere, was ihm das Leben servierte, aber er zögerte nicht, sich der Mutter gegenüber gehorsam zu erweisen.
    »Als er uns das Essen reichte... vorhin beim Mittagsmahle, da hat dieser Diener Childerichs Tunika beschmutzt«, erklärte er ausdruckslos.
    Dies genügte Bathildis. Wortlos wandte sie sich um, ging zwar gemessenen Schrittes, aber so hart auftretend, dass man jeden einzelnen Schritt klappern hörte. Sie hatte den Raum noch nicht verlassen, da drehte sie sich noch einmal um. »Folgt mir! Du und die Knaben!«, wies sie Fredegar an. »Sie sollen sehen, was jetzt geschieht!«
    Dann ging sie in den Hof.
    Wenngleich darauf gefasst, was sie dort erblicken würde, zog sie doch scharf den Atem ein, nicht um ihr Entsetzen zu zähmen, sondern jene atemlose Wut, die sie beschlich. Sie hatte schon geschundene Sklaven gesehen, Rücken, von denen die Haut in Fetzen hing, die schwielige Narben aufwiesen oder blutige Risse, desgleichen wie sie noch den flirrenden Klang der Ochsenpeitsche kannte, wenn diese auf dem Leib eines Geschundenen tanzte. Deren Geschrei war meist lauter als das Zerplatzen des Fleisches, und doch war der zweite Laut der wahrhaft fürchterliche.
    Ja, dies kannte sie, und sie hatte gelernt, den Ekel, den es zeugte, hinabzuwürgen. Des Zorns, der nun aufflammte, nicht minder scharf und zerstörend als das Werk der Peitsche, war weniger leicht Herr zu werden.
    Childerich selbst, kaum fünf Jahre alt, ließ die Peitsche heruntersausen, unermüdlich, die Stirne schon schweißnass. Die Zunge hing ihm aus dem Mund, der Gesichtsausdruck schwankte zwischen Anstrengung, Gewissenhaftigkeit und schriller Lust.
    So sehr mit seinem Werk beschäftigt, merkte er nicht, wie sich ihm die Mutter näherte – jene beäugt von seinen Kameraden, die Fredegar in den Hof schob und die nicht sicher waren, für wen sich Partei zu ergreifen lohnte: für den Prinzen, der stets Gefolgschaft und

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