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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Haselnussbraun. Diese Augen hatten die Eigenheit, niemals einem anderen Blick standzuhalten, sondern stattdessen im Gespräch umherzuspringen, wurden jedoch starr und aufmerksam, wenn sie sich denn auf eine Rolle Papyrus richteten oder auf das viel teurere Pergament.
    Fredegar las viel und schrieb noch viel mehr. Nicht sonderlich bescheiden hatte er Bathildis bei ihrem ersten Zusammentreffen berichtet, dass er ein Geschichtswerk zu vollenden gedenke – von nicht minderem Ausmaß als jenes, das Gregor von Tours geschrieben hatte. Darin sollte dereinst die Geschichte der Merowinger von ihrem Beginn bis zum heutigen Tage nachzulesen sein.
    Um diese Anfänge ging es auch an einem der Tage, da Bathildis den Unterricht besuchte. Mit sichtlicher Hingabe erzählte Fredegar den mehr oder minder aufmerksamen Knaben, dassdie Merowinger aus dem Geschlecht des Priamus, Friga und Francio hervorgegangen waren und folglich Urahnen im sagenumwobenen Troja hatten. Der Stammvater Chlodio wiederum – Großvater des ersten Königs Chlodwig – hatte sich einmal im Sommer mit seiner Gattin an den Meeresstrand begeben. Als seine Gemahlin mittags zum Baden in die dunklen Fluten hinauswatete, so ward sie plötzlich von einem Meerungeheuer mit Stierkopf angefallen und gezwungen, sich von diesem begatten zu lassen. Ob sie nun von dem Untier oder von ihrem Mann empfing – in jedem Fall gebar sie neun Monate später einen Sohn mit dem Namen Meroveus, nach dem die Könige der Franken später Merowinger genannt wurden.
    Als er bemerkte, dass Bathildis eingetreten war, wurde sein Blick flackernd.
    »Fahrt nur fort!«, ermunterte sie ihn, ließ sich auf einem der Stühle nieder und betrachtete die Kinderköpfe von hinten. Manch einen kannte sie als Sohn eines der Großen und Reichen des Landes; gemeinsam mit den Königssöhnen wurden sie erzogen (beaufsichtigt nicht nur vom jeweiligen Lehrer, sondern vom Major Domus), auf dass mit dem gemeinsamen Unterricht der Grundstein späterer Freundschaft und Treue gelegt wäre und sie – als eine Art Geiseln bei Hofe – die fernen Väter davon abhielten, eine Revolte gegen den König auszuhecken.
    Wenngleich sie nur ungern über ihn nachsann, musste Bathildis unwillkürlich an Ebroin denken, der einst – wiewohl viel niedrigerer Herkunft als die Söhne des Adels – hier an Chlodwigs Seite hinter dem hölzernen Schreibpult gesessen hatte. Ob er gelehrter gewesen war als der Gatte, dem man nachsagte, dass er das Schreiben und Lesen erst spät und unter vielen Mühen gelernt hatte, und der sich bis heute lieber mit Würfel-und Brettspielen den Tag vertrieb, anstatt sich in Schriften zu vertiefen? Ob Ebroins wendiger Geist die Grammatik oder die Rhetorik rascher erfasst hatte als der spätere König?
    Jene Disziplinen kamen heute im Unterricht kaum mehr vor.Zu viele Geistliche wetterten gegen die heidnischen Denker, hielten es für besser, den Geist der Kleinen mit der Lektüre von Bibel, Psalmen und Heiligenviten zu formen, anstatt ihnen Fabeln zu erzählen oder sie in die gottlosen Gedanken eines Seneca, Cato oder Martianus Capella einzuweihen.
    Zu besagten Heiligenviten war Fredegar eben übergegangen – vielleicht wollte er Bathildis beweisen, wie viel die Knaben dank seiner gelernt hatten.
    So wurde jeder Einzelne bei seinem Namen gerufen, musste aufstehen und von einem dieser vorbildlichen Leben berichten.
    Chlothar, ihr ältester Sohn, war der Erste. Er sprach gewandt und ohne sonderlich nachzudenken, jedoch mit solch gefühlloser Stimme, dass man vermeinen könnte, sein Gemüt wäre aus schlichtem, grauem Stein gehauen. Das Leben der heiligen Genoveva, der Schutzpatronin des Frankenreichs, die als Bürgermeisterin von Paris jene Stadt durch eine Hungersnot gerettet hatte, indem sie selbst mit mehreren Schiffen nach Troyes gefahren war und dort Getreide geholt hatte, war ihm zwar bestens bekannt, erregte aber mitnichten seine Anteilnahme. Bathildis hatte Fara einmal sagen hören, dass Chlothar fast alles kalt ließe – dass er gewiss nicht ungezogen sei, desgleichen nicht dumm (wie seine ruhige Erzählung es auch bewies), jedoch stets ein Mangel an Gefühlen, der guten wie der schlechten, an ihm festzustellen sei.
    Nie hatte Bathildis darüber nachgedacht. Nun tat sie es, sann darüber nach, ob vielleicht die Schwermut daran schuld war, unter der sie gelitten hatte, als sie mit den ersten beiden Söhnen schwanger ging. Hatte nicht der römische Gelehrte Galen behauptet, dass sich nicht nur die

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