Die Regentin (German Edition)
Äste, zwischen die man ein festes Stück Leder gespannt hatte, und jener Hauch verhieß das Gleiche, nur schmerzlicher, schneidiger, was sie in jenem Augenblicke schon erfühlt hatte, als er vor mehreren Tagen von dannen geritten war: die Ahnung von Verlust, von Verlassenheit.
»O nein!«, schrie sie auf. Der Schrecken, den sie eben noch erlebt hatte, verblasste ob dieses Unglücks. Sie fiel vor ihm auf die Knie; sie berührte das Gesicht, aschgrau und so faltig, als wäre das Fleisch dahinter bereits geschwunden und die verbliebene Haut viel zu weit, um sich glatt darüber zu spannen.
»O nein!«
Sie fühlte Erchinoald an ihre Seite treten, kummervoll und gebeugt; er wiederholte, was schon seine aufgeregten Männer kundgetan hatten. Sie achtete nicht auf ihn, auch nicht auf Gertrude und Rigunth, die die Königin zu trösten suchten, von den Leibärzten sprachen, die schon auf dem Weg hierher wären und die den König gewiss heilen könnten.
Er ist so gut wie tot, überkam sie erneut das Grauen.
»Weine nicht, Bathildis«, sprach Chlodwig, und erst da fühlte sie, wie Tränen über ihre Wangen tropften.
Zwei Tage suchte man den Blutfluss zu stillen, mit Pflanzen und Kräutern, die rund um Heiligengräber wuchsen, und mit dem Öl von Lampen, die in den Grüften anderer Heiliger hingen, schließlich mit Staub aus deren Sarkophagen.
Keine bessere Medizin würde es geben, hieß es, und rasch war jede Kirche im ganzen Land dazu aufgerufen, sämtliche Reliquien, die sie besaß, zum König zu bringen.
Zuletzt hörte das Blut tatsächlich zu fließen auf, doch Bathildis hatte den Verdacht, dass dies nur geschehen war, weil in seinem Körper keines mehr übrig war. Und die Wunde, ein rundes, schwarzes Loch, wollte sich nicht schließen, sondern begann zuerst, an ihren Rändern glühend rot zu werden, dann zueitern, und schließlich breitete sie sich über den ganzen Bauch aus.
Mehrmals war Chlodwig in all den Stunden in tiefe Ohnmacht versunken, nun kam er zu sich, las in den Gesichtern seiner Treuen und murmelte selbst, mit glühender Stirne, sein Todesurteil: »Wundfieber.«
Bathildis konnte nicht mehr weinen. Vertraut war, was da schmerzhaft in ihr pochte. Alleine ... alleine ... er lässt mich alleine. So wie Aidan ... damals ...
Dass sie zum zweiten Mal das Gleiche erlebte, machte es nicht leichter. Nicht nur, dass diese Erfahrung dumpfe Trostlosigkeit zeugte – es war auch überraschend zu erkennen, dass sie an einem Mann, der sie oft mehr als Kerkermeister gedeucht hatte denn als Gatte, so schmerzlich hing, dass sie seiner, der ihr doch so oft schwach erschienen war, schmerzlich bedurfte.
Wie starr erlebte sie die letzten Stunden – genauso aschfahl, gebeugt und verstummt wie Erchinoald, der Major Domus, der nicht vom Sterbebette wich.
Nur einer ertrug die Stille nicht, die einzig vom Gebet der Mönche durchbrochen wurde, nur einer focht gegen das endgültige Urteil an.
Bathildis sah Ebroin, den verhassten Ebroin, fast verrückt werden vor Ärger und Schmerz. Als man Chlodwig gebracht hatte, hatte er unbewegt im Hof gestanden; nun barst die aufrechte Haltung wie eine Wand, die staubspuckend zu brechen beginnt. Seltsam waren nicht die lauten Worte, die er ausspie, sondern die hüpfenden Bewegungen, die er machte, als stellte er sich den Schmerz als einen Pfeil vor, der nur den Stillstehenden treffen kann.
»Ich lasse nicht zu, dass er stirbt!«, brüllte er. Obschon hektisch, waren seine Bewegungen doch weich und biegsam – aus der Ferne betrachtet, war es ein merkwürdiger Tanz, den er vollführte. »Wenn er stirbt, so sollen es mir die Ärzte büßen! Keineneinzigen werde ich am Leben lasse! Habt ihr schon einmal davon gehört, was die Königin Fredegund tat, als die Heilkundigen ihren kleinen Sohn sterben ließen? Nun, ein besseres Geschick sollen auch diese nicht erfahren! Elendiglich sollen sie verbrennen oder in der Seine ersaufen, oder sie sollen ihre Gliedmaßen einzeln verlieren ... Die Furcht wird sie das Mittel finden lassen, den König nicht sterben zu lassen und...«
Bathildis hatte ihm in all den Tagen nicht in die Augen gesehen. Die Sorge um Chlodwig hatte sie beinahe vergessen lassen, dass Ebroin der Mann war, der sie offenbar hatte morden wollen lassen. Nun fiel es ihr wieder ein, und umso widersinniger deuchte es sie, dass sie gerade mit ihm das Bangen um den König teilte.
Sie stellte sich vor ihn hin. »Wage nicht, den Ärzten zu drohen! Es wäre nicht des Königs Wille, ihnen
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