Die Regentin (German Edition)
entfuhr Bathildis’ Mund, als versuchte sie, ihr Unbehagen wegzulachen. »Willst du mir also vorwerfen, dass Ebroins Ärger auf mich berechtigt ist – weil er sich selbst so getreu an das Gebot der Dankbarkeit hält, ich aber nicht? Nun, da kann er lange hoffen, dass ich ihm so verbunden bin wie er selbst Chlodwig. Hier stehen die Zeichen anders, hier...«
Indessen sie immer lauter redete, hatte Rigunth sie sanft am Arm gepackt, um sie vom Gemach der Kinder fortzuführen. Die Kleinen sollten von der aufgebrachten Stimme der Mutter nicht geweckt werden.
»Ich bitte dich, Königin«, unterbrach Rigunth die Königin wieder, diesmal nicht mit ihrer Bestimmtheit, sondern voll des Mitleids. »Du hast es doch nicht nötig, dich vor einem armen Mägdelein, wie ich es bin, zu rechtfertigen.«
Kaum hatte sie das gesagt, senkte sie die dunklen Augen. Bathildis freilich fühlte sich nicht befreit. Dem forschen und auch ein wenig vorwurfsvollen Blick standzuhalten, hatte ihr Kraft gegeben. Nun schien alles gleichzeitig auf sie hereinzubrechen: Die Scham darüber, Ebroin derart herausgefordert zu haben. Die Trauer, dass sie Menschen quälte, weil da etwas Dunkles in ihr wucherte und aus dem glanzvollen Dasein ein vergälltes machte. Die Verachtung schließlich, die sie eben noch dem rot-äugigen, bleichen Mann entgegengebracht hatte, der so oft ihr Blut in Wallung gebracht hatte, und die sich nun gegen Bathildis selbst richtete.
Wiewohl sie sie nicht länger ansah, schien Rigunth zu merken, welcher Kampf hinter ihrer Stirn tobte. »Vielleicht ist’s besser, ich lasse dich alleine, meine Königin«, sprach sie – und ging.
Als ihre sanften Schritte verklangen, wähnte sich Bathildis nicht mehr von ihren Gefühlen zerrissen, sondern einfach nur verloren. Ziellos ging sie ein paar Mal im Gang auf und ab, verbat sich, ein zweites Mal nach den schlafenden Kindern zu sehen, suchte schließlich in der kalten Nachtluft Labsal für ihre verwundeten Gedanken.
Die Wachen grüßten sie erstaunt, als sie an ihnen vorbei auf jenen Hof zuschritt, den einzig ein kleines Mäuerchen von der Seine abgrenzte.
»Ihr könnt gehen!«, befahl sie. Ihre Worte überraschten nicht minder als ihr Erscheinen, doch waren sie so bestimmt gesprochen, dass man sich ihr fügte.
Sie fröstelte, als sie zum Nachthimmel hochstarrte. Schwarze Wolken zogen an den Sternen vorbei, so bedrückend langsam, als brächen sie zu einem Leichenzug auf.
Was tue ich nur? Ach Aidan, was tue ich nur? Was ist es, was mich treibt und nicht zur Ruhe kommen lässt?, dachte sie – Trost und Stütze bei dem Namen suchend, der doch zugleich all ihr Elend bedingte.
Hat Rigunth recht? Tue ich Ebroin Unrecht? Doch wie kann ich ihn um Verzeihung bitten, ohne dass er in sein spöttisches Lachen ausbricht? Unerträglich wäre das!
Viel schneller, als die Wolken am Himmel entlangschlichen, huschte plötzlich in ihren Augenwinkeln ein Schatten vorbei. Sie fuhr herum, erbost, dass jemand wagte, sie zu stören.
»Wer ist...«
Die Frage endete abrupt. Aus dem schnellen Schatten wurden mehrere dunkle Gestalten. Sie kreisten sie ein, packten sie, und eine von ihnen legte die schwielige Hand über ihren Mund.
Ihr Aufschrei blieb lautlos. Nichts anderes brachte er ihr ein als einen fremden, salzigen Geschmack auf Lippe und Zunge. Sie wusste nicht, ob sie die fremde Hand schmeckte – oder den eigenen Speichel. Stimmlos gemacht, versuchte sie sich dennoch zu wehren, strampelte, trat um sich, kämpfte darum, die Hände aus der Umklammerung zu befreien.
Doch sie schienen von Eisenfesseln festgehalten zu sein. Zuletzt vermochte ihr Leib nur mehr hilflos zu zucken, den Griffen von schweren Händen ausgeliefert, die sie zerdrücken und ersticken könnten.
Sie wusste nicht, ob das ihr Ziel war. Kurz glomm Hoffnung auf, schrill und lebendig, dass irgendjemand ihr nur einen Schrecken einjagen wollte. Nein, nicht irgendjemand. Sie wusste genau, wer es war.
Doch dann war ihr, als würde sie hochgeschleudert, zuerst über stahlharte Schultern ... schließlich über die steinerne Mauer. Dass sie nicht schreien konnte, zähmte ihre Furcht ein wenig. Unmöglich war’s auf diese Weise, den Gedanken auszusprechen, der da als Erstes durch den Kopf rumpelte – und nichts anders verhieß, als dass man sie tatsächlich morden, in die Tiefe stürzen lassen wollte.
Nein!, wollte sie schreien, nein! – und vermochte doch nichtsanderes, als nur die Augen zu schließen, kaum dass sie kopfüber hing.
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