Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
er sie wieder an.
    »Ich liebe dich«, wiederholte sie flüsternd. »Ich liebe dich.«
    Immer glücklicher und weicher wurde sein Gesicht. Er schien ihren Anblick festhalten zu wollen, als letzten, der ihm geschenkt war, ehe er die Augen für immer schließen musste. Er tat es nicht sofort, nicht hastig. Zuerst begannen nur die Lider zu flattern, dann erst wurden sie ihm schwer. Zwei- oder dreimal noch versuchte er, sich zu wehren, blickte Bathildis an, wie sie da lächelte, nicht aufhörte zu lächeln. Dann ergab er sich der Finsternis ohne weiteren Widerstand, mit einem letzten Atemzug, der ein leises Raunen preisgab. Es war ein sachter Ton, der Ewigkeiten lang nicht zu verlöschen schien und schon von der jenseitigen Welt kündigte, nicht mehr zu dieser gehörte.
    Immer noch hörte sie nicht auf zu lächeln, aber der wohltuende Frieden lüftete alsbald den tröstlichen Schleier und ließ Bathildis nackt und unbedeckt zurück.
    Aidan lebt, dachte sie.
    Nun erst prasselten die Gefühle auf sie ein, Verzweiflung und Freude, Ohnmacht und Dankbarkeit, Ratlosigkeit und die Erleichterung. Wahllos trafen sie ihr Gemüt, verknoteten sich zu einem unlösbaren Knäuel.
    Aidan lebt, und er ist frei.

Viertes Buch
    Die Regentin
    A.D. 657–665

XXVII. Kapitel
    An dem Tag, da man Chlodwig II., König von Neustrien und Burgund, zu Grabe trug, war der Himmel ein grauer Spiegel der Erde, die sich fruchtlos und staubig erstreckte. Es regnete nicht, noch kündete Schnee vom baldigen Winter, aber die vielen Kerzen in Saint Denis verhießen kein warmes Lichtermeer, sondern fraßen nur kümmerlich flackernd den Docht, vom Windhauch so eingeschüchtert, als würden sie wie all die hohen Gäste und Trauernden frösteln.
    Der Prunk, mit dem die Kirche ausgestattet war, all das Gold, das Silber und die Edelsteine, die sie schmückten, waren fahl, desgleichen das reich verzierte Lichtkreuz, welches viel höher war als ein groß gewachsener Mann. Chlodwigs Vater, der große König Dagobert, hatte seinerzeit die Splitter des Heiligen Kreuzes, auf dem der Herr selbst sein Leben ausgehaucht hatte und die ihm Kaiser Heraclius aus Konstantinopel gesandt hatte, darin einfügen lassen. König Dagobert war es auch, der einst beschlossen hatte, dass künftig alle Könige aus dem Geschlecht der Merowinger samt ihren Familien im Schutze des Heiligen Dionysius die letzte Ruhestätte finden sollten. Landregesil, zwar nicht von königlichem Blut, aber als Bruder von Dagoberts Gattin Nanthild der Familie nahestehend, war als Erster dort begraben worden, dann Dagobert selbst und schließlich Nanthild.
    Heute folgte ihnen ihr Sohn Chlodwig, der zweite König seines Namens. Er war in einem jener steinernen Sarkophage zurEwigen Ruhe gebettet, welcher bei den Füßen schmal war und in Richtung des Kopfes breiter wurde.
    Bathildis selbst hatte seinen Leichnam nach dem Tod gewaschen und mit aromatischen Essenzen eingerieben. Wiewohl es die Männer der Kirche nicht gerne sahen, war auch dem alten Brauch gefolgt worden, wonach man auf seine Zunge eine Münze presste – als Obolus für den Fährmann, der in die Unterwelt geleitete. Zudem war viel Schmuck in den Sarg gelegt worden – der Dolch, den Chlodwig getragen hatte, die Stierköpfe, die seinen Gürtel verzierten, das Zaumzeug seines Pferdes.
    Eben war der Sarkophag mit einem quietschenden, durchdringenden Laut geschlossen worden, der sämtliche Trauergäste zusammenzucken ließ. Ob der Kälte hatten sich alle tief in ihre Mäntel verkrochen, deren Kapuzen – als Ausdruck der Ehrerbietung für den Toten – die Köpfe bedeckten.
    So verharrten sie, auch als nach dem Gebet ein Moment der Stille eintrat. Die Stille war nicht sauber, sondern von Gemurmel und Seufzen befleckt. Bathildis verstand nicht, was getuschelt wurde, ob das Gerede noch Chlodwig galt oder bereits der Zukunft, ob schon die ersten Ränke geschmiedet oder ob die Angst bekundet wurde, dass ohne die züchtigende Hand eines Königs das Land noch tiefer in blutige Fehden versinken würde. Jeder Laut deuchte sie ein Echo jener Sorgen, die ihr die Freude über Aidans Überleben rasch vergällt hatten.
    Ja, er lebte, aber in jener Stunde, da sie davon erfahren hatte, schien zugleich besiegelt worden zu sein, dass sie ihn trotzdem nicht Wiedersehen durfte.
    Später beim Mahle, nach mühseliger Rückfahrt in den Palast zu Paris, ruhten sämtliche Blicke auf Chlodwigs leerem Platz. Bathildis hatte es so eingerichtet, dass niemand ihn besetzen dürfte

Weitere Kostenlose Bücher