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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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gespannt, was heißt, dass sie nicht erkannt werden wollen!«
    Erstmals blieb die Frau stehen.
    »Du meinst doch nicht, dass...«, setzte sie entsetzt an.
    Bathildis wusste gar nicht, was sie meinen sollte. Lieber wäre ihr gewesen, die andere würde etwas sagen, ihr erklären, was vorging. Stattdessen musste sie selbst mühselig nach dem wenigen schürfen, was sie in den letzten Wochen und Jahren über ihre Heimat gehört hatte, niemals offen ausgesprochen, weil unnütze Worte im Kloster streng verboten waren. Gewissheiten gab es wenige – aber manches Gerücht, manche Ahnung, meist zu schrecklich, um ernsthaft daran zu glauben.
    Von Kriegen im Norden Britanniens war die Rede, desgleichen von darob entvölkerten Landstrichen und Vertriebenen, die den Verlust ihrer Heimat rächten, indem sie raubten und mordeten... und schändeten. Von all den möglichen Verbrechen war dies gewiss das Schlimmste, denn es war nicht sicher, ob eine solcherart entehrte Frau jemals den Himmel erschauen dürfte.
    Die Gesetzlosen im eigenen Land waren jedoch nicht die einzige Bedrohung. Erst kürzlich hatte ein Reisender, den man entsprechend dem Gebot der Gastfreundschaft aufgenommen hatte, berichtet, mehrere Schiffe wären an den Küsten Kents aufgetaucht. Von einem Land stammten sie, das auf der anderen Seite des Meeres lag und aus dem keine gesitteten Christenmenschen kamen, sondern Barbaren, schrecklich gottlos und grausam und stets auf der Suche nach Reichtümern, um ihre unermessliche Gier zu stillen.
    Wiewohl Bathildis solcherlei Gedanken, die sich schon beim ersten Anblick der Schiffe aufgedrängt hatten, nicht laut aussprach, schien der Äbtissin nun Ähnliches zu dämmern. Endlich blieb sie stehen, stieß einen Schrei aus, so laut, dass er bis in den Schlafsaal drang und dort Unruhe stiftete. Alsbald erschien die Nonne Godiva auf der Schwelle, deren farblose Lippen sich niegänzlich über die spitz vorstehenden Zähne schlossen und deren Gesicht dem einer Ziege glich.
    Mit ihr, der engsten Vertrauten der Äbtissin, die auch diejenige war, die am schönsten zu schreiben vermochte, strömten andere herbei – die einen mit offenem Haar, die anderen mit in der Eile verkehrt gebundener Haube. Ihre Stimmen gingen durcheinander.
    Sie sollen still sein, dachte Bathildis; die Männer aus dem Norden dürfen uns nicht hören! Und Licht... kein Licht, so wie es jetzt die Kerzen aus Talg verbreiteten!
    Sie hoffte, die Äbtissin würde das ebenso bedenken und zur Ruhe mahnen.
    Stattdessen schrie jene ein ums andere Mal – und das war es, was aus Bathildis’ Sorge und Aufgewühltheit eine klamme, kalte Furcht machte, die sich wie ein Wurm in ihrem Bauch zu winden begann – »Gott straft uns! Gott geißelt uns!«
    Wieder fiel Bathildis auf, dass Langsamkeit und Erstarrung das Geschehen bestimmten, nicht Hast und Eile.
    Die Nonnen verstummten, lauschten auf das, was die Äbtissin und Bathildis zu berichten hatten – wobei genau betrachtet nur Bathildis in ganzen Sätzen sprach, die andere in panischen, unnützen Silben; dann rangen sie merkwürdig lahm die Hände. Godiva, die Ziegengesichtige, ansonsten streng mit sich und anderen, wenn es um laute, nutzlose Geräusche ging, schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Das Klatschen ließ alle zusammenfahren.
    »Wir sind verloren! Ohne unsere Brüder sind wir gewiss verloren! Allein Gott kann uns jetzt noch retten! Schnell, schnell, lasst uns in der Kapelle Zuflucht suchen! Holt alle zusammen – vielleicht hat der Allmächtige doch noch Erbarmen mit uns!«
    Bathildis konnte sich nicht erinnern, Godiva jemals offen ins Antlitz geschaut zu haben, desgleichen wie sie in ihrer Gegenwart niemals ungefragt das Wort erhoben hatte. Die fromme, pflichtversessene Godiva neigte dazu, jede Frechheit zu bestrafen – nicht mit den üblichen Schlägen, sondern mit schmerzhaften Kniffen in die Brüste, selbst in die flachen der Kinder. Nicht nur, dass es schmerzhaft war – eine jede, der solches geschah, ahnte, dass es auch verboten, weil unkeusch war. Freilich war es schwer, von der Ziegengesichtigen zu denken, dass sie willentlich sündigte. Und ebenso wenig konnte man mit der Äbtissin darüber sprechen, die sich auf Godiva verließ wie auf keine andere. Selbst jetzt nickte sie. An ihrer Stelle erhob Bathildis Einwand.
    »Nein, nicht die Kapelle!«, stieß sie aus. Sie wusste in diesem Augenblick nicht, vor wem sie sich mehr ängstigte – vor den nahenden Schiffen oder dem Ziegengesicht, das sich

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