Die Regentin (German Edition)
missmutig verzog.
»Seit wann führen in unserem Haus Kinder das Wort?«, zischte sie in Bathildis’ Richtung und fuchtelte obendrein mit der Kerze.
Vor den anderen kann sie mich nicht in die Brüste kneifen, dachte Bathildis’ trotzig.
»Ich habe die Schiffe entdeckt!«, entgegnete sie mit sich überschlagender Stimme. »So nah sind sie schon an der Küste. Und deswegen müssen wir uns eilen und uns verstecken, aber nicht in der Kapelle, denn...«
Dass sie an Macht verlieren könnte, deuchte Godiva wohl die größere Gefahr zu sein als die fremden Schiffe. Sie schritt auf Bathildis zu, musterte sie streng und wortlos, als hätten sie alle Zeit der Welt für diesen Streit, und meinte dann verächtlich – über Bathildis’ Kopf hinwegsprechend:
»Sie ist nicht einmal Novizin. Irgendwann wird sie das Kloster verlassen, um zu heiraten... Und so eine will uns sagen, was wir zu tun haben?«
Bathildis wusste nicht genau, was sich am lautesten aus der Stimme der anderen herausschälte: Neid, dass sie selbst ihr Lebenim Kloster beschließen würde, oder Geringschätzung, weil der Stand der Nonnen weit mehr Heil versprach als jener der Ehefrauen, die die Scham der Zeugung und den Schmerz der Kindesgeburt zu ertragen hatten...
Nun, beides würde Bathildis nicht erleben, wenn sie sich nicht baldigst retteten.
»In... in der Kapelle werden sie zuerst nachsehen, wenn es tatsächlich Räuber sind, die nach Reichtümern suchen«, stotterte sie – mühsam die Zunge befehligend, die die Furcht anständig aus dem Takt tanzen ließ. »Wenn wir hingegen an einem Ort Zuflucht suchen, der unauffällig ist, dann...«
»Bis zum Wald schaffen wir es niemals!«, schaltete sich eine der anderen ein. »Die ersten Bäume stehen viel zu weit entfernt von uns!«
»Auch der Getreidespeicher ist zu klein – und wer sagt, dass sie nicht auch der Hunger treibt und sie an diesem Ort früher suchen als in der Kapelle?«
Bathildis atmete schwer. Ob ihrer Furcht dachte sie, keinen klaren Gedanken fassen zu können. Doch gerade aus der Leere in ihrem Kopf vermochte sich ein Befehl klar und deutlich zu erheben: »Der Taubenturm!«
Die Äbtissin starrte sie verständnislos an. Jetzt erst entdeckte Bathildis, dass Falten ihr Gesicht überwucherten wie kleine Sprünge den Boden einer Schüssel. So zerknittert sah sie aus, dass Bathildis sich kurz fragte, wie sie jemals Furcht vor der gestrengen Klostervorsteherin hatte haben können, die die Mädchen sämtliche lateinischen Psalmen und die Worte der großen Kirchenlehrer hatte lernen lassen. Auch sie war kaum milder als Godiva und strafte gern auf ihre Weise. Wer nicht rechtzeitig begriff – Bathildis gehörte meist nicht dazu, umso mehr aber ihre Freundin Hereswith –, der musste seine Hände ausstrecken; dann ließ sie den Hanfstrick, der das raue Leinengewand zusammenhielt, in der Luft kreisen wie eine Peitsche und schlug rote Striemen in die Hände.
Von jener Strenge war heute nichts zu spüren.
»Ja«, sagte sie langsam. »Der Taubenturm.«
Godiva schnaufte, wieder klang es verächtlich. »Und das Haus Gottes sollen wir im Stich lassen? Erlauben, dass man den Leib Christi schändet? Wer immer da kommt und uns bedroht: Wir sollten ihnen das Brot entgegenhalten, auf dass ihnen Gott selbst befiehlt, von dannen zu ziehen!«
»Sollen sie lieber uns schänden anstelle des Allerheiligsten?«, rief Bathildis laut.
»Bathildis!«, rief die Äbtissin entsetzt, um alsbald kleinlaut hinzuzufügen: »Godiva hat recht. Wenn es tatsächlich Barbaren aus dem fremden Land sind, die da kommen, dürfen wir ihnen nicht erlauben, dass sie das Allerheiligste verunreinigen...« Sie hielt kurz inne, dachte nach, suchte im Kreise der anderen unruhigen Nonnen nach einem bestimmten Gesicht. »Freilich ist es auch ratsam, Schutz vor ihnen zu suchen. Wir dürfen ihnen nicht in die Hände fallen, und das würde in der Kapelle wohl geschehen. Also gut, Schwester Messnerin, ich befehle dir: Geh in das Haus Gottes und folge uns nach mit sämtlichem Gefäß, das jemals den Leib oder Blut Christi hielt! Wickle es in die Altartücher ein, auf dass es nicht verunreinigt werde!«
Die Schwester Messnerin war bislang still gewesen. Nun schrie sie spitz und hoch: »Das wag ich nie und nimmer!«
»Nun, mach schon!«, rief die Äbtissin, mehr ratlos als streng, aber immerhin endlich bereit, das Ruder wieder zu übernehmen. »Wir haben keine Zeit für Mutlosigkeit!«
Die Nonne erbleichte, japste nach Luft – und fand
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