Die Regentin (German Edition)
hatte.
»Allmächtiger...«, stammelte Bathildis.
Im vergangenen Jahr war Bischof Chrodebert von Paris gestorben, niemals ein Freund wie Eligius und doch ein Vertrauter, mit dem sie gerne zusammentraf. Sein Ableben bedeutete Verlust, doch die Lücke schien rasch ausreichend gefüllt: mit der Persönlichkeit von Sigobrand, jünger und tatkräftiger als sein Vorgänger, aus guter fränkischer Familie – und stets ergeben und respektvoll, wenn er der Regentin begegnete.
Seine Miene war zwar oft verschlossen; er zeigte nicht gerne, was er dachte, und auch zu lächeln war ihm fremd, doch sie mochte sein ruhiges, vornehmes Wesen. Von diesem war freilich wenig zu erahnen, nun, da er wie ein geschlachtetes Tier vor ihr hing.
»Bindet ihn los!«, schrie sie. »Bindet ihn sofort los! Wie könnt ihr es wagen, den Bischof von Paris...«
Sie hatte gedacht, dass sie mit dem Geschundenen und seinen Folterknechten in jenem feuchten, stinkenden Verlies allein wäre. Doch indessen ihr Befehl noch von den Wänden echote, so mischte sich der Klang einer anderen Stimme darunter, beherrschter als ihre, jedoch nicht minder schneidend.
»Verlang das nicht, meine Königin!«, erklang es hinter ihr aus einer dunklen Ecke.
Ebroin sah fremd aus. Er trug einen dunklen Mantel, dessen Kapuze seine weißen Haare bedeckte und in dessen Schatten seine roten Augen schwarzen Löchern glichen. Langsam trat er näher, umrundete Bathildis, sog jeglichen Ausdruck ihrer Miene auf – den Ekel, das Entsetzen, den unverhohlenen Zorn.
»Er ist Bischof von Paris!«, rief sie empört.
Ebroins Mundwinkel zuckten verächtlich. Unwillkürlich beugte er sich vor und spie in Richtung des Geschundenen.
»Er ist ein Verräter!«
»Ebroin, dass du es wagst, dich wieder an einem Bischof zu vergreifen und ihn...«
»Er ist ein Verräter!«, wiederholte er eisig. Seine Hände schnellten hoch, um sie an den Schultern zu packen und sie näher an den Geschundenen zu schieben. »Ja, ein Verräter!«, bekräftigte er. »Der hinter deinem Rücken und hinter meinem alles tut, um unsere Macht zu brechen. Er ist Anführer einer Verschwörung, von der ich noch nicht genau weiß, wie weit sie reicht; fränkische Familien sind dabei, auch gallo-römische. Vielleicht hat sie sich bis nach Austrasien ausgeweitet, zu der Sippe der Pippiniden, die dort seit vielen Jahren alles daran setzt, die Macht zurückzugewinnen. Hast du mich verstanden?«
Sie wollte es, aber seine Worte schienen geschluckt zu werden von dem schrecklichen Dunst des niedrigen Verlieses, dessen Gestank und dessen Elend. Draußen, in der kalten Nachtluft hätte sie ihn verstehen können, aber nicht hier, wo das Echo eben noch gebrüllter Schmerzensschreie von den Wänden hallte.
»Warum?«, fragte sie bebend. »Warum tust du das, Ebroin?«
»Nicht ich tu es! Du wirst es tun! Du wirst diesen elenden Verräter danach befragen, wer mit ihm paktiert, und wenn er nicht reden will, so werden es diese Männer aus ihm herausfoltern. Glaub mir, sie verstehen ihr Handwerk!«
»Ebroin, lass ihn losbinden oder...«
»O nein, Bathildis, heute nicht! Heute hast du nicht das Glück, mir die Rolle des Scheusals zuzuweisen. Du denkst, ich bin eine Kreatur der Hölle? Nun gut, vielleicht... doch dann sollst auch du in diese Hölle hinabsteigen. Er ist nun dein Gefangener.«
Er beugte sein Gesicht ganz dicht zu ihrem herab; seine Kapuze verrutschte und ließ sie in die roten Augen sehen, nicht verbissen und spöttisch wie sein Mund, sondern mitleidig.
»Ebroin!«, sprach sie eindringlich. »Ebroin, so darf man einen Bischof nicht behandeln!«
Er warf den Kopf zurück und offenbarte seinen dünnen, weißen Hals. Auszuschütten schien er sich vor Lachen, doch die Laute kamen einem Schluchzen gleich.
»Man darf es nicht, aber man muss es! Könntest du denn noch einen Tag friedlich leben, wenn du nicht wüsstest, mit wem er sich verbündet hat? Wirst du nicht in stetiger Angst vor den Häschern leben, die heimlich, leise in dein Gemach schleichen... oder in das von Chlothar, in das von Theuderich?«
»Ebroin...«
»Unsere Feinde werden sich von einem unschuldig schlafenden Kind nicht rühren lassen. Sie werden sich vorneigen, ihm einen Strick um die Kehle legen, und dann werden sie langsam zuziehen. Der kleine Theuderich, vielleicht erwacht er noch, vielleicht versucht er noch zu schreien, aber er hat keine Stimme mehr, auf dass du oder Rigunth oder Fara herbeieilen, sondern er wird verstummt ertragen müssen, wie der
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