Die Regentin (German Edition)
vorbei und schließlich, Bathildis stockte der Atem, zu einem kleinen, dunklen Tor, mehr Loch als Eingang. Nie war sie durch jenes getreten – gleichwohl wusste sie, was sich dahinter verbarg.
»Was in Gottes Namen...«
»’s ist Ebroins Wunsch.«
Das letzte Wort besänftigte sie ein wenig. Hätte er von Befehl gesprochen, so wäre sie an dieser Stelle verharrt und nicht weitergegangen. Nun freilich folgte sie ihm hinein, erneut in einen Gang, nur dieser nicht weit und geräumig, sondern eng und feucht. Der Boden, im Hof noch trocken und fest, schien hier mit Schlieren bedeckt, die so rutschig waren, dass sie sich beinahe an dem narbigen Mann festhalten wollte. Allein der Ekel hielt sie davon ab – und jener Ekel brachte sie auch dazu, in möglichst kleinen Schritten zu gehen, um nicht versehentlich an die Wand zu stoßen. Etwas Dunkles, Klebriges floss von dieser, und lieber war ihr, nicht zu ergründen, was es war, desgleichen wie sie nicht die Schatten deuten wollte, die dort hinten huschten und augenscheinlich zu Ratten gehörten.
Vorsichtig balancierend stieg sie eine Treppe hinab, die aus ungleichmäßigen Stufen errichtet war – die einen waren so hoch,dass sie beinahe fiel, andere niedrig und schief, sodass sie ins Stolpern kam.
Dass sie sämtliche Sinne auf das bloße Gehen fixierte, half freilich, den grässlichen Gestank zu ignorieren, der hier als dicke Wolke festhing, nicht seit Tagen, sondern jahrelang; desgleichen vernahm sie erst, als sie am Fuß der Treppe angelangt war, die grässlichen Laute, die von den feuchten Wänden hallten.
»Warum... warum bin ich hier?«, fragte sie, mehr ängstlich als ärgerlich, mehr eingeschüchtert als befehlend.
Diesmal verzichtete der Narbige gänzlich auf Worte. Er stieß eine niedrige Holztür auf, und als sie in die Kammer blickte, die sich dahinter verbarg, so versiegten ihr sämtliche Fragen. Laut schrie sie auf, ehe sie entsetzt die Hand vor den Mund schlug.
XXXIII. Kapitel
In der Mitte des niedrigen, modrigen Raums hing schlaff der Leib eines Mannes. Seine Hände waren an zwei Stricke festgebunden, die man mit Eisenhaken an der Decke befestigt hatte. Sein Oberkörper war nackt, dessen schwammige weiße Haut von Schweiß überströmt – und von Blut, das aus frischen Striemen troff. Seine Füße erreichten den Boden, doch anstatt fest darauf zu stehen, waren dem Mann die Beine umgeknickt, sodass sich die Fesseln seiner Hände immer tiefer in die Gelenke schnitten. Wiewohl sein Haar, in dem Spinnweben und fauliges Stroh klebten, kurz geschnitten war, konnte Bathildis sein Gesicht nicht sehen, denn der Kopf hing ihm nach vorne, als wäre sein Hals gebrochen, und das Kinn schien sich förmlich in die weiche, kaum behaarte Brust zu bohren.
»Lieber Gott, wer ist das?«
Bathildis wusste nicht, wie viel Zeit zwischen ihrem spitzen Schrei und dieser Frage vergangen war, gewiss eine Weile, da sie nur angewidert auf den geschunden Mann gestarrt hatte, der hier im Kerker hing. Folterknechte standen um ihn herum, maulfaul wie der narbige Mann, der sie geholt hatte, jedoch offenkundig pflichtbewusst, wenn es ums Schlagen, Brennen und Verstümmeln ging. Die Wunden an den Oberarmen, den Schultern, dem Rücken des Mannes waren frisch und noch nicht schwarz und schwärend. Der süßliche Geruch, der davon ausging, hatte sich freilich bereits in diesem unterirdischen Verlies eingenistet.
»Also«, wiederholte Bathildis ihre Frage, als ihr nicht geantwortet wurde, »wer ist dieser Mann?«
Sie hatte nicht gedacht, dass in dem geschlagenen Leib noch Leben wohnen könnte, doch ob ihrer aufgebrachten Stimme begannen seine Arme zu zucken, unkontrolliert und heftig, wie die Leiber von Fischen, welche in der frischen Luft ersticken. Seine Füße scharrten in der Erde, sein Kopf begann zu wackeln, und schließlich – mit Stöhnen und Ächzen – vermochte der Gefolterte sein Kinn von der Brust zu heben und langsam hochzublicken. Das eine Auge war blau und geschwollen, über die Wange ging quer eine blutige Strieme.
Dennoch war Bathildis das Antlitz vertraut genug, dass sie es augenblicklich erkannte – und wieder schlug sie ihre Hand vors Gesicht, stieß einen erschütterten Schrei aus.
»Nun, erkennst du mich, Königin?«
Seine Stimme war nur mehr ein tiefes Grollen, kaum menschlich, obzwar der Mann sämtliche Kräfte dareinlegte, artikulierte Worte auszusprechen, und sich nicht der Schande anheimgeben wollte, dass man ihm sämtliche Würde geraubt
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