Die Regentin (German Edition)
für seine Dummheit, sie herausgefordert zu haben. Noch mehr als seine Beleidigung zeugten dieser sinnlose Mut, diese Dreistigkeit in ihr das Verlangen, es ihm heimzuzahlen, ihn verstummen zu lassen, und sei’s für ewig. Nicht größer konnten Demütigung und Beschämung sein, als wenn sie von einem kamen, der sich in aussichtsloser Lage befand und dennoch an seinem Stolz festhielt.
Angwidert wandte sie sich ab und schluckte verzweifelt gegen das Würgen an.
»Fügt ihm keine Schmerzen mehr zu«, murmelte sie gepresst. »Aber wenn er nicht geständig ist, dann tötet ihn... sobald der Morgen dämmert.«
Sie übergab sich gleich neben dem Eingang zum Verlies, zuerst an die Wand gestützt, an der entlang sich verdorrter Efeu rankte, schließlich auf die Knie gesunken, weil ihr die Kraft versiegte, sich aufrecht zu halten. Es war nicht lange her, da sie zuletzt gegessen hatte, und anfangs kamen ihr ganze unverdaute Bissen von ihrer letzten Mahlzeit hoch – etwas Weizenbrot und Schafskäse. Schließlich spuckte sie nur mehr Schleim, und auch wenn jener weniger stank als das Essen, so glich er der zähen Flüssigkeit, die ihr Sigobrand ins Gesicht gespien hatte. Wieder würgte sie, wieder und wieder, bis ihr der Magen schmerzte und der Hals und ihre Augen Tränen spuckten.
Sie konnte erst aufhören, als eine Hand sie an der Schulter packte, sie von den Knien hochriss.
»Bathildis...«
Eine Weile war sie zu geschwächt, um diese Stütze auszuschlagen. Sie lehnte sich an den verhassten Körper, einzig froh, dass das Würgen aufgehört hatte, dass der aufgewühlte Magen sich wieder beruhigte, dass sie wieder atmen konnten und die Tränen versiegten. Hastig wischte sie mit dem Zipfel ihres Mantels das Gesicht sauber.
»Hat er... hat er gestanden?«, fragte Ebroin.
Die ganze schreckliche Nacht über hatte sie auf den Spott gewartet, mit dem er seine Rache feiern würde – und Rache war es doch, wenn er sie zu jenen Grausamkeiten zwang, die sie ihm stets vorgehalten hatte –, aber Ebroin klang beunruhigt, ängstlich... und ein wenig mitleidig.
»Nein, er hat nicht gestanden«, versuchte sie zu sagen, wiewohl sie kaum mehr als ein Krächzen zustande brachte. »Er hat mich beschimpft, nichts weiter.«
»Welch ein Tölpel!«, entfuhr es Ebroin.
»Wenn er denn nur...«
Sie brach ab. Viel leichter hätte sie sich gegen Hohngelächter wehren können. So bedurfte es sämtlicher Willenskraft, sich von ihm loszumachen.
»Lässt du mich jetzt endlich gehen?«, fragte sie und kämpfte um Verachtung.
»Meine Königin, glaub mir, ich wollte nicht, dass du...«
»Doch, du wolltest es, du Bastard! Du wolltest mich beschämen und beschmutzen!«
»Du hast doch selbst gehört,...«
Sie hob abwehrend die Hände, auf dass er ihr fernbliebe.
»Ja, ich habe ihn gehört, und ja, ich halte ihn für schuldig. Aber wag du es nicht noch einmal, mich anzufassen!«
Ihre Stimme schmeckte bitter von der erbrochenen Galle. Sie presste ihre Hände auf den Leib, dann floh sie in die Kapelle, die neben dem Palast errichtet war.
Der Custos , der damit beauftragt war, die Kirche bei Tag und Nacht zu bewachen, schritt eben prüfend die Kerzen ab. Sie erzitterten unter dem Luftzug, der vom geöffneten Tor wehte. Langsam schritt Bathildis von dort aus näher.
»Lass mich allein!«, befahl sie schlicht, erntete das überraschte Hochziehen von Augenbrauen, aber zumindest Gehorsam. Der schwarz gekleidete Custos entfernte sich mit schnellen Schritten, wiewohl sie nicht sicher war, ob er die Kapelle tatsächlich verließ oder sich nicht nur in einer Nische verbarg, um von dort aus das Allerheiligste zu beobachten.
Seufzend kniete sie sich auf den bloßen, kalten Boden, zuerst besänftigt von der gnädigen Stille des Alleinseins, dann alsbald wieder eingeholt von den schweren Gedanken.
Es war ihr stets ein Leichtes gewesen, mit Priestern über ihr Seelenheil zu sprechen – einst war es Eligius gewesen, seit dessen Tod der Abt Genarius. Allein zu sein mit Gott jedoch erinnerte sie stets an jenen schrecklichen Überfall der Friesen, da siedie liturgische Gerätschaft aus der Kirche des Klosters geholt und dabei eine der Schalen hatte fallen lassen.
Einfach war es damals gewesen, den Frevel zu vertuschen, weil niemand sie gesehen hatte. Doch wann immer sie seitdem allein ein Gotteshaus betrat, fühlte sie sich unsichtbaren Beobachtern ausgesetzt, die hämisch und streng nur darauf warteten, dass ihr erneut ein Missgeschick passiere.
Unbehaglich
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