Die Regentin (German Edition)
nicht geschützt durch einen kalten Blick und ein höhnisches Lächeln. Seine Lider flackerten, seine Lippen zuckten. Anstatt sich rasch zu fassen und zurückzuschlagen, verharrte er so lange in seinem Schweigen, dass nun auch Bathildis erstarrte.
Der wütende Rausch legte sich, und zurück blieb das kahle Unbehagen, zu weit gegangen zu sein.
Freilich war es zu spät, etwas von ihrem blinden Hass zurückzunehmen. Schon fand Ebroin die Fassung wieder und entgegnete: »Wenn du es sagst, Königin.«
Die Worte klangen wie das Niedersurren einer Peitsche. Bathildis schluckte trocken und wandte sich ab. Unerträglich wie die Beklemmung, die sein Anblick zeugte, war die Ahnung, dass sich Unheil ankündigte... und dass sie es eben selbst mit ihren bitterbösen Worten heraufbeschworen hatte.
Es war mitten in der Nacht, als sie erwachte.
Sie wusste nicht, welches Geräusch sie geweckt hatte, ob es den Tiefen ihrer Träume entstammte oder der wirklichen Welt. Angespannt lauschend vernahm sie weiter nichts, entspannte sich, legte sich wieder hin.
Dann plötzlich – wieder ein Klopfen an ihrer Tür, kein offenkundiges Poltern, sondern vorsichtig, scheu. Sie fuhr auf, hastete zur Tür.
»Rigunth?«, fragte sie. »Rigunth?«
Das Mädchen schlief in der Kammer neben ihr, und für gewöhnlich war ihr Schlaf so leicht, dass sie stets zugegen war, wenn die Königin ihrer bedurfte. Doch heute war es nicht sie, die da vor der Türe stand, sondern ein fremder Mann, den Bathildis nie zuvor gesehen hatte: Im schwachen Schein der Fackel, die er trug, erkannte sie, dass sein Gesicht vernarbt war und seine Zähne zu Stummeln verfault. Noch mehr setzte ihr der Gestank zu, der von dem Mann in ihr Gemach wehte – nicht nur nach Dreck und Schweiß, sondern nach Eiter und Blut.
Entsetzt zuckte sie zurück.
»Wie kannst du es wagen...«, entfuhr es ihr.
Niemand von niedrigem Rang wagte es, sich ihr ohne Erlaubnis zu nähern, besonders nicht zu nachtschlafener Zeit, ohnevermittelnden Boten. Wie war es möglich, dass die Wachen diesen stinkenden Kretin zu ihr gelassen hatten?
Der Hässliche kannte jedoch keine Scheu.
»Kommt mit mir, Königin«, verlangte er einfach, und wiewohl seine Worte unartikuliert waren und die Zunge beim Reden an die faulen Zähne stieß, so klangen sie doch entschlossen und fordernd.
Bathildis erschauerte.
»Nirgendwo gehe ich hin! Was willst du, Tölpel?«
Sein Gesicht verschwand in der Dunkelheit, als er sich abwandte und die Fackel sinken ließ.
»Ebroin schickt nach Euch«, bekannte er schlicht, als wäre damit genug gesagt.
Erneut machte ihr Herz einen heftigen Satz; es sträubten sich ihr sämtliche Haare.
Einige Wochen war es her, dass sie den Major Domus so heftig beleidigt hatte, und in dieser Zeit war Ebroin ihr stets ausgewichen, hatte kein Vorhaben erkennen lassen, das ihr zuwiderlief. Und dennoch war es ihr schwergefallen, jenes leise, nagende Unbehagen zu schlucken, das sie stets befiel, wenn ihre Gedanken um ihre letzte Begegnung kreisten.
»Kommt Ihr?«, drängte er, weil sie sich nicht rührte.
Kurz war sie geneigt, den narbengesichtigen Mann zu ihm zurückzuschicken. Doch ihre Anspannung war zu groß, als dass sie untätig hätte warten können, bis sich ihr der Grund für dessen nächtliches Erscheinen erschloss. Jetzt sofort wollte sie ihn wissen; jetzt sofort Ebroin dafür zur Rede stellen.
Sie nickte, wenngleich sie ihn noch warten ließ und zurück ins Gemach huschte, um dort einen Mantel um die Schultern zu legen und ihn mit einer Fibel an der Brust zu verschließen. Dann schlüpfte sie in ihre dünnen Lederschuhe.
Der narbige Bote war ihr vorausgegangen. Mit schnellen Schritten schloss sie zu ihm auf, vermied es, in sein Gesicht zu sehen, aber fragte schnell: »Wohin bringst du mich?«
Ein Keuchen entfuhr ihm.
»An keinen schönen Ort«, bekundete er schlicht – wortkarg wie vorhin, als wäre mit dem wenigen genug gesagt.
Bathildis bohrte nicht weiter. Die Gesichter der Wachen, denen sie begegnete, waren nicht etwa erstaunt über das Erscheinen der Regentin, sondern offenbar darauf eingestimmt. Das zaghafte Unbehagen der letzten Wochen wuchs zur Besorgnis.
Sie beschleunigte die Schritte, um den Narbigen zur Eile zu drängen, und jener, nicht sonderlich angetan von der Pflicht, die Regentin durch den nächtlichen Palast zu leiten, nahm gerne ihr Tempo auf. Fast im Laufschritt betraten sie jenen Gang, welcher ins Freie führte, eilten quer über den Hof, am Gesindehaus
Weitere Kostenlose Bücher