Die Regentin (German Edition)
blickt.
»Nein«, gab sie unwillkürlich zu. »Nein, so ist es nicht... Ich weiß, ich habe stets bekräftigt, dass ich nicht sagen kann, was hinter mir liegt. Doch es waren nicht Schmerz und Hader, die mich davon abhielten, ’s ist nicht so, dass da ein Grauen wäre, was man nicht in Worte fassen kann. Ich weiß, du hast es geglaubt, und ich, ich ließ dich in dem Glauben, weil ich dachte, ich wäre dir solcherart mehr wert. Die Wahrheit aber ist, dass ich mich nicht erinnern kann: Nicht an das Gesicht meiner Mutter oder meines Vaters, noch daran, was mich von ihnen getrennt hat. Vielleicht waren meine Eltern Sklaven wie ich und sind gestorben. Vielleicht haben sie mich verkauft. Vielleicht komme ich aus fernen Landen und bin geraubt worden. Ich weiß es nicht. Und was noch viel mehr zählt: Es ist mir gleich.«
»Wie kann dir das gleich sein?«, fuhr Bathildis auf. »Es ist dein Leben!«
»Mein Leben begann an jenem Tag, da du mich gesehen und mich befreit hast. Nichts, was zuvor geschehen war, hatte hernach jemals wieder Bedeutung. Dir gehört meine Liebe, dir gehört meine Treue. Mehr zählt nicht.«
Erstmals ging Bathildis auf, was sie nie für möglich gehalten hatte: dass hinter den dunklen Augen kein Kampf tobte, der Rigunth zerriss, kein Kummer, der ihr das Leben vergiftete, keine offene Rechnung, die sie zu begleichen hatte. Rigunths Trachten war ein begrenztes: Sie war ihr, Bathildis, dankbar und ergeben, und sie wollte nichts vom Leben, als an dieser Ergebenheit festhalten – und das nicht etwa, weil sie sich dazu mühsam durchgerungen hätte. Die Wahrheit lautete vielmehr, dass das Mädchen mit sich eins war und anspruchslos in seinen Wünschen, dass ihr Gemüt viel zu nüchtern, viel zu einfallslos war, um mit der Welt oder gar dem eigenen Tun zu hadern, es stetig neu zu hinterfragen.
Gleichwohl sie jetzt unbehaglich blickte, weil sie den Zorn der Königin fürchtete, so erwartete sie ihn doch mit jener Ruhe, die nur eine angeborene sein kann.
Bathildis fühlte keinen Groll wider sie. »Ich beneide dich, Rigunth«, bekannte sie stattdessen schlicht. »Ich beneide dich so sehr.«
Jetzt war’s Rigunth, die erstmals den Kopf schüttelte. »Tu das nicht, Königin! Wären unsere Rollen vertauscht gewesen, wäre ich die Königin gewesen – ich weiß nicht, ob genügend Unruhe und Zwietracht in mir gebohrt hätten, um das zu tun, was du getan hast. Hadere nicht mit deinen Fehlern! Schließe Frieden mit deiner Vergangenheit!«
Bathildis wandte sich ab, jäh der Worte gedenkend, die Sadalberga ihr im Kloster gesagt hatte. »Wenn du an einem Ort wie diesem Frieden willst, dann musst du ihn hierher mitbringen. Du darfst nicht erwarten, ihn hier zu finden.«
»Ich dachte, ich wäre, wie ich bin... so zerrissen, so zwiespältig, ständig schwankend zwischen diesem lauten Ärger und dieser lähmenden Schwermut... ja, ich dachte, ich wäre so, weil ich von Aidan getrennt wurde – und von meiner Heimat«, murmelte sie. »Doch jetzo frage ich mich, ob Gott mich nicht so geschaffen hat, desgleichen wie dir die ruhigere, schlichtere Art von Anfang an mitgegeben ward. Und dass ich, ganz gleich, was mir zugestoßen wäre, und auch wenn ich ein friedvolles Leben ohne Verschleppung und Versklavung gelebt hätte, doch dieselbe geworden wäre, die ich jetzt bin. Rigunth, sieht so ein Frieden aus?«
»Vielleicht ist solches zu erkennen der deine.«
Bathildis sann darüber nach.
»Du hast recht«, bekundete Bathildis, und dann: »Schnell. Schnell... lass uns zurückkehren.«
Als sie den Hof erreichten, öffnete die Nacht dem Morgenlicht kaum mehr als eine Ritze. Dünn floss es herein, noch ohne die glatte Gerade des Sonnenscheins, sondern dunstig und neblig, die Ahnung von Röte verschluckend.
Bathildis fröstelte, müde vom Gehen, aber erleichtert, dass dernahende Tag sich noch nicht mächtig ankündigte und die Vollstreckung des Urteils, das sie in der Nacht ausgesprochen hatte, noch nicht einforderte.
»Geh in den Kerker!«, sprach sie zum erstbesten Wachmann, der ihr begegnete. »Es ist mein Wunsch, dass Bischof Sigobrand losgebunden werde... Wir werden ihn gefangen halten, doch nicht auf diese Weise. Und er soll leben, nicht heimlich ermordet werden.«
Sie rieb sich die Hände, als sie wartete, sich umsah, nach Ebroin Ausschau hielt. Ob er sich zurückgezogen hatte? Oder ob er sie von irgendwo heimlich beobachtete, sich daran weidete, wie sie von der Last ihrer Entscheidung erdrückt wurde?
Nun, sie
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