Die Regentin (German Edition)
Gefangenschaft. Chlothar und Childerich... vor allem Childerich. Weißt du, dass er mir von allen am meisten gleicht? Und dass ich ihn darum am meisten fürchte? In ihm leben so viel Herrschsucht und so viel Zorn... und so viel Zerrissenheit.«
»Und zugleich so viel Kraft, nicht wahr? Auch das hat er von dir.«
»Und Ebroin... ach Ebroin«, fuhr Bathildis klagend fort. »Ich konnte ihm nie verzeihen, weil ich ihm die Schuld an meinem Geschick gab. In Wahrheit hätte er Dank verdient und enges Bündnis – von Anfang an! Was hätten wir gemeinsam erreichenkönnen zu Chlodwigs Zeiten! Wie dieses Land prägen und aus dem König einen großen machen können! Nach dessen Tod eint uns nur der reine Zweck, und das ist zu wenig, um die Welt wahrhaft zu ändern. Die Macht, die wir uns jetzo teilen, war immer nur eine erkämpfte und ertrotzte, all unser Trachten gebündelt, um sie gegen Widersacher zu bewahren, sodass nichts mehr übrig bleibt, sie auch zum Guten zu gebrauchen.«
»Dein Urteil ist zu hart!«
»Aus alter Rachsucht hab ich Ebroin zu oft gesagt, er sei der Hölle Kreatur, und er hat gelernt, dass er mich nicht anders erreichen kann, nicht anders bewegen, als wenn er mit grausamen Taten Zorn und Ekel in mir schürt. Es ist zu spät, ihn davon abzubringen. Ich selbst bin seiner Grausamkeit doch auch verfallen... diese Nacht heute hat es gezeigt.«
Bislang hatte sie die Kälte nicht gespürt. Nun schauderte es sie heftig, und sie war froh, dass Rigunth sie noch stärker packte, den kleinen, dünnen Körper an den ihren presste.
»Du hast ihn oft enttäuscht, Königin«, murmelte sie. »Doch er traf seine Entscheidungen wie du die deinen. Und auch er muss dafür geradestehen.«
Wieder schüttelte Bathildis den Kopf. »Gleich, wie du mich zu trösten suchst, ich habe alles falsch gemacht. Und selbst wenn’s richtig gewesen wäre, dann hätten mich falsche Gründe dazu getrieben. Was war es denn, was mein Tun bestimmt hat? Woraus zog ich meine Stärke?«
Sie sprach die Antwort nicht laut aus – und konnte doch nicht umhin, sie zu denken.
Aus dem Wunsch, Aidan wiederzusehen und an ihrem Schwur festzuhalten, ihn niemals zu vergessen. Aus dem Wunsch, sich für die Ohnmacht zu rächen, und um die Erinnerung an die hoffnungslose Einsamkeit mit hektischen Taten zu überdecken.
»Ach Königin, was zählen deine Gründe?«, sprach Rigunth eindringlich und ernst. »Denkst du, dass jenes Sklavenpärchen, das du vor dem grausamen Tod bewahrt hast – Taurin und Moschiasich darum scherten, worum es dir eigentlich ging? Und alle anderen, die du aus der Knechtschaft erlöst hast, alle Bauern, die du durch Hungerwinter brachtest, alle Waisen und Witwen und Krüppel, die dank deiner Almosen zu essen bekamen, all die Klöster, die du gestiftet hast, auf dass sie zur Zufluchtsstätte würden für jene, die eine Zuflucht brauchen – denkst du, einen von ihnen kümmert dein Geschick? Du lebst durch deine Taten, Bathildis! Was zählen die verqueren Gedanken, die sie bedingten?«
»Ich weiß, dass du mich trösten willst, jedoch...«
»Und ich selbst?«, unterbrach Rigunth sie. »Zähl ich denn nicht? Was wär ich ohne dich geworden, Königin? Gewiss wär ich ohne dein Eingreifen schon tot, zugrunde gegangen an den Lasten, die man einem Sklavenmädchen auferlegt. Du allein hast nicht über mich hinweggeschaut.«
Zielsicher hatte sie Bathildis dem Palast entgegengeführt. Schon ließ er sich im fahlen Mondschein erspähen, nicht einladend, jedoch Schutz versprechend. Die letzten Schritte aber wollte die Regentin nicht tun. Sie blieb stehen, drehte Rigunth zu sich her, blickte in das schmale Gesichtchen – und in die dunklen Augen. In deren Tiefen hatte sie stets diese Wunde erspäht, die sie selbst viel zu gut kannte.
»Konnte ich dich wirklich glücklich machen?«, fragte Bathildis. »Ich glaube nicht. Du hast mir nie gesagt, was hinter dir liegt, Rigunth, doch dein Schweigen kündete von Schrecklichem. Ich habe dich befreit, dich zu meiner Tochter gemacht. Doch um Gerechtigkeit herzustellen, wäre es notwendig gewesen, dich zu jener Familie heimkehren zu lassen, der man dich entrissen hat. Und dazu konnte ich dir nicht verhelfen.«
Rigunth, die sonst so Ernste, lächelte nun zaghaft. Bathildis glaubte Wehmut daraus zu lesen, Bestätigung für ihre Vermutung, doch das Lächeln erfasste nicht die Augen. Ihr Blick wurde plötzlich mitleidig, als wäre Rigunth eine uralte Frau, die abgeklärt auf das fehlgeleitete Kind
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