Die Regentin (German Edition)
neiden sie Erchinoald die Macht, doch anstatt ihm ernsthaft gefährlich zu werden, sind sie untereinander in grausame Fehden verstrickt.
Warum Chlodwig II. so schwach ist, wiewohl er einen so großen Vater hatte?
Vielleicht ist’s, weil er zu früh an die Macht kam. Ein Kind war er damals noch, und seine Mutter Nanthild musste für ihn herrschen...
In all den Monaten kam Bathildis dem König oder seinem Hofstaat niemals nahe. Dies geschah erst im Herbst (es war in Rueil, in der Nähe von Paris), an einem der schwärzesten Tage, die sie in der Zeit ihrer Sklaverei erlebte.
Fast traumwandlerisch hatte sie im Sommer all ihre Arbeiten verrichtet; die Wärme hatte ihr eine trügerische Leichtigkeit verliehen, die sie auch schweißtreibende, ermüdende Tage überstehen ließ, und die Freundlichkeit von Gertrude und auch Oda hatten den Anschein erweckt, ihr Dasein wäre erträglich, umso mehr, als sie sich niemals den Gedanken erlaubte, es könne ewig währen. An Aidan schrieb sie in die Asche, an Aidan dachte sie in jedem lichten Moment, und so kam es ihr manchmal vor, als müsste sie sich nur eine gewisse Weile Demut und Gehorsam aufzwingen, dann wäre das schreckliche Los irgendwann abgearbeitet und sie würde belohnt. Ja, wenn sie nur tüchtig genug wäre, so würden all die Taten am Ende sorgfältig in einem Buch aufgelistet sein – und ein gnädiger Gott würde richten, dass es nun der Prüfungen genug seien. Dann würde sie heimkehren und Fürstentochter sein und Aidan wiederfinden und ihn lieben bis ans Ende aller Tage.
Nie erlaubte sie sich, den Irrwitz dieser Gedanken bloßzustellen – bis zu jenem gewissen Tag.
Sie kam von den Stallungen, wo sie einem der Knechte einen Auftrag vom Haushaltsmeister zu übergeben hatte, als sie plötzlich Erchinoald gegenüberstand – dem Major Domus des Königs, der sie einst vorm Erfrieren gerettet hatte und dessen schändliches Angebot, sie zu seiner Konkubine zu machen, sie ausgeschlagen hatte.
Sie erstarrte unwillkürlich, weniger aufgrund schlechter Erinnerung als ob des Gebots, das allen Sklaven galt und das besagte, sie sollten den hohen Herren nicht zu nahe kommen. Wenn jemand wie Gertrude sich ihnen freiwillig näherte, nun, so ließ sich nichts dagegen machen, aber vor jemandem wie Erchinoald hieß es, sich eilig zu bücken oder möglichst unauffällig zu fliehen.
Bathildis freilich schaffte es weder zu knien noch fortzulaufen. Es war sein Blick, der sie aufhielt, zunächst ausdruckslos und verächtlich, dann langsam innewerdend, wen er vor sich hatte, und schließlich voll Erstaunen – und Mitleid.
Jener Blick besagte, dass sie sich sehr verändert hatte, und zwar derart zum Schlechten, dass alter Hohn gar nicht erst aufkam. Jäh sah sie sich mit seinen Augen – und erschrak.
Ihre Hände waren schwielig und rot und rissig. Ihre Haut sonnengegerbt und von Mückenstichen übersät. Ihre Haare ausgebleicht und stumpf. Und die Fußsohlen dick verhornt.
»Kann nicht begreifen«, entfuhr es Erchinoald unwillkürlich, »dass dir die Ehre wahrhaft lieber ist als ein hübsches Kleidchen und ein weiches Bettchen...«
Sprach’s und schnaubte abfällig.
Seine Worte waren nicht das eigentlich Schlimme. Schamrot wurde sie vielmehr ob des unbändigen Verlangens, ihm Recht zu geben, sich ihm vor die Füße zu werfen, ihn anzuflehen, das einstige Angebot zu wiederholen.
Bis zu diesem Augenblick hatte sie nicht gewusst, wie sehr sie mit dem Dreck und dem Gestank ihres jetzigen Lebens haderte und dass beides schwerer zu ertragen war als die unangenehme Erinnerung an Sichos Berührungen. Jene war verblasst, so wie ein Hemd nach vielem Waschen seine Farbe verliert. Einzig tobte durch ihren Kopf: Verrückt muss ich gewesen sein! Von Sinnen, ihn vor den Kopf zu stoßen! Ich habe ihm gefallen – und wie gerne hätte er sich bei mir von der zänkischen Leutsinda erholt! Und ich hab’s ausgeschlagen! Wie verrückt! Verrückt!
Der Gedanke, sich solcherart für Aidan rein gehalten zu haben, nützte nichts. Denn rein fühlte sie sich nicht – nicht in diesem verkrusteten, blau gefleckten, grindigen Leib.
Offenbar schien er den Kampf zu ahnen, der da hinter ihrer Stirne stattfand. Er lächelte boshaft ob des verspäteten Bedauerns.
»Nun, eine wie dich«, lästerte er, »würde ich noch weniger angreifen wollen als einen räudigen Hund.«
Es war dies nicht alles, was sie zu ertragen hatte. Just, da sie versinken wollte ob bitterer Selbstanklage und Demütigung, erschien
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