Die Regentin (German Edition)
Schneidender Wind empfing sie, presste ihr den Kittel gegen den Leib, sodass sich sämtliche Knochen abzeichneten, und ließ das verfilzte Haar wehen.
Just in diesem Augenblick war’s, dass der Boden zu beben begann ob einer Schar von Pferdehufen. An die zehn Reiter galoppierten an ihr vorbei, fast alle dunkel bekleidet, wie sie es von den Antrustionen wusste, dem Schutzheer des Königs.
Bathildis schrak zusammen, und ihr erster Gedanke war, sich auf den Boden zu werfen, um ihren Respekt zu bekunden. Doch freilich würde sich dann all der Staub und Dreck in das nasseGewand fressen – und hatte sie nicht eben stundenlang gebadet, um ihn loszuwerden?
So stand sie erstarrt, riss den Blick nicht von den Reitern los – und sah schließlich einem von ihnen direkt ins Gesicht. In der dunklen Schar fiel er als Einziger auf: Er hatte langes, dünnes, blondes Haar, eine Haut, noch weißer als jene von Leutsinda, und rotglänzende Augen. Wimpern und Brauen waren ohne Farbe, und am schmächtigen Hals trat übergroß der Adamsapfel hervor.
Bathildis wurde von neuerlichen Kälteschauern erfasst, und hastig krümmte sie sich, um dem Wind nicht zu viel Fläche zu bieten.
Später schlich sie sich zurück in die Küche, nicht lange unentdeckt.
»Wo bist du gewesen?«, herrschte Oda sie unerwartet an.
»Ich glaube... ich glaube, ich habe den König gesehen«, murmelte Bathildis mit blau bebenden Lippen. »Kann es sein, dass er kalkweiß ist im Gesicht und rote Augen hat?«
Oda schnaufte, Tratsch würde sie gewiss nicht vom Tadeln abbringen – keine der Sklavinnen durfte sich davonstehlen und ihre Zeit selbst bestimmen. Doch dann sagte sie: »Das war nicht der König, sondern sein engster und treuster Begleiter... ich weiß nicht, welcher Familie er entstammt, doch es heißt, er lebe seit seiner Kindheit an Chlodwigs Seite, habe mit ihm das Lesen gelernt, später das Reiten und die Waffenkunde.«
»Seine Augen waren wie glühende Kohlen!«, entfuhr es Bathildis bebend.
»Oh!«, lachte Oda. »Manch einen habe ich sagen gehört, dass er ein Geschöpf des Teufels sein müsste, wo doch sein Antlitz nicht dem gewöhnlicher Menschen gleicht! Aber der König duldet keine üble Nachrede gegen Ebroin. Er könnte ihm nicht näher als ein Bruder stehen.«
»Und der König«, fragte Bathildis, »was ist die sonderliche Eigenart, von der du unlängst sprachest?«
Sie fühlte sich nicht sauber, nur klamm. Ich habe mich zu wenig gewaschen, dachte sie, ich bin noch immer schmutzig.
»Der König...«, setzte Oda an. Sie wagte nicht, die Worte laut auszusprechen. Sie neigte sich vor, um Chlodwigs merkwürdige Angewohnheit direkt in Bathildis’ Ohr zu flüstern.
Seit jenem Tag schien Bathildis’ Stimmung gekippt, wie Traubensaft zu gären beginnt, Milch ranzig wird oder ein Käse zu schimmeln beginnt. Viel schneller und plötzlicher, als sich in der Sommerzeit ihr Gemüt erhellt hatte, verdunkelte es sich jetzt, als wäre ihre Seele hinter Balken gesperrt, die nicht die kleinste Ritze offen ließen. Das, was ihr noch vor kurzem eine Wohltat schien, dem sonntäglichen Gottesdienst zu lauschen, wurde ihr gleich. Nur die Gewohnheit trieb sie dazu, Aidan weiterhin in die Asche zu schreiben, jedoch nicht mehr die Hoffnung, dass ihr daraus echter Trost erwachsen könnte.
Paris ist die größte Stadt, die ich jemals gesehen habe, zwanzig Mal tausend Einwohner leben dort, schrieb sie eines Tages und lachte hernach, bis ihr die Tränen kamen. In Wahrheit hatte sie nie mehr von Paris gesehen als die Königsburg auf der Insel zwischen den Seine-Armen.
Was aber sonst zählte?
Dass auf der Pferderennbahn zu Soissons kürzlich ein Mann ums Leben kam, weil er in einer Runde vom Wagen fiel, eine Weile durch den Sand geschleift wurde und schließlich sein Kopf unter die Räder kam?
Oder dass Erchinoald in eben jenen Wochen einen erbitterten Streit mit anderen Ministern des Reiches ausfocht, in dem es um die Frage ging, ob er als Major Domus bei sämtlichen Entscheidungen mit einbezogen werden musste?
Und der Besuch in Rouen, einst lange vor Paris die Hauptstadt des Reichs, – welche Spuren hinterließ er schon in der Seele, die sich stets so feucht und klamm anfühlte wie ihre Kleidung, wenn sie Bächen oder Tümpeln entstieg?
Ja, das Waschen hatte Wert für sie. Nicht, dass es ihr gefiel – vielmehr wurde es ein Zwang, sich stets die Tage vom Leib zu schrubben. Dann tauchte sie mit dem ganzen Körper ein, immer von der Gefahr bedroht zu
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