Die Regentin (German Edition)
Gott zu weihen. Sie war ins Kloster eingetreten, was nicht sonderlich zu bedauern war, da sie bislang kinderlos verblieben war. Ursache des Zanks war nun jedoch, dass sie der Gemeinschaft der Schwestern ihren ganzen Besitz übertragen hatte.
Bathildis schritt weiter. An einem der Tische gab es Streit darüber, welcher der Nachbarn des Reiches an Macht und Reichtum den Merowingerkönigen am nächsten kam. Die Bretonen im Nordwesten, die Basken im Süden? Oder die Langobarden im Osten, die Westgoten schließlich auch, die die genannten Basken bekriegten?
Bathildis ging wieder weiter. Es war eine Kunst, den anderen Sklavinnen bestmöglich auszuweichen, sodass eine jede von ihnen möglichst schnell und ohne etwas auszuschütten Speis und Trank zu den Tischen bringen konnte. Die Bewegungen waren beinahe ein Tanz.
Die Amphore, die Bathildis nun trug, um leere Trinkhörner und Gläser damit aufzufüllen, ging zur Neige. Bald würde sie zurück in die Küche gehen müssen, um sie aufs Neue aufzufüllen. Reichte es noch für den nächsten Tisch, am oberen Ende des Saales?
Zögernd blieb sie stehen, hob vorsichtig den Blick und gewahrte mehr als nur Füße und Hände. Kurz war ihr, als würde sie eine weiße Gestalt im Augenwinkel wahrnehmen, rotäugig, mit dünnem, blondem, fast weißem Haar und hervorspringendem Adamsapfel.
Ebroin. Des Königs engster Begleiter.
Und war da nicht auch Erchinoalds Stimme zu hören?
»Du musst etwas gegen die aufmüpfigen Herzöge tun. Wie oft werden sie an den Hof bestellt? Wie oft von dir besucht? An den Rändern des Reichs leben sie und denken, sie hätten dort ihr eigenes Königreich, in dem sie schalten und walten können, wie ihnen beliebt!«
»So ist es, mein König!«, pflichtete jemand bei. »Wann hast du das letzte Mal Huldigungen empfangen, sagen wir aus Thüringen oder Bayern? Diese Provinzen mögen so fern liegen, dass sie für uns nicht sonderlich von Interesse sind. Doch wie schnell werden die Herzöge der Provence und Aquitaniens ihrem schlechten Beispiel folgen, wenn keiner ihre Respektlosigkeit dir gegenüber verurteilt und bestraft?«
Bathildis vernahm ein Seufzen, lang und tief.
Es war dieser Klang, so ungewohnt im allgemeinen Stimmengewirr, der sie noch höher blicken und die Runde streifen ließ – nur kurz zwar, aber ausreichend, um sich manches Detail einzuprägen.
Da war tatsächlich Ebroin, am schnellsten von allen erkennbar, weil Gott ihm bei der Geburt nur das Weiße und Rote mitgegeben hatte, ansonsten keine Farbe. Auch die Tunika, die er trug, war aus farblosem Leinen gewebt. Die Augen hingegen, in die Bathildis schon einmal kurz gesehen hatte, schienen heute nicht zu brennen wie damals in der Nacht, sondern zu bluten.
Und der König. Sie erblickte auch den König und erkannte ihn – nicht weil ihr seine Züge vertraut waren, sondern weil er von sämtlichen Zeichen seiner Macht ausgewiesen wurde: Er trug einen Siegelring, desgleichen, an seinem Gürtel festgemacht, Speer und Schild. Beides diente schon lange nicht mehr zum Kämpfen, bewies aber, dass er einer Dynastie von mutigen Kriegern entstammte. Über der Purpurtunika trug er einen langen Festmantel, mit Gold und weiterem Purpur durchwirkt; auf dem Kopf saß ihm ein funkelndes Diadem.
Bathildis hatte von Oda gehört, dass sämtliche Könige der Merowinger ihr Haar lang wachsen ließen und dass sie darum reges criniti hießen. Auch Chlodwig II. folgte diesem Brauch, doch sein Haar wuchs kaum kräftiger als das von Ebroin. Glanzlos, ungelockt und strähnig hing es ihm über die Schultern und beinahe in seine Schüssel hinein.
Er hatte eine eigene, aus der er aß. Und er aß viel.
»Wäre er nicht der König, man würde ihn für absonderlich halten«, hatte Oda Bathildis anvertraut. »Er isst viel mehr, als ein gewöhnlicher Mann essen kann. Gewiss nicht gierig und nicht in großen Bissen, aber immerzu. Gleich wo er sich aufhält – er isst und isst, und manchmal muss er sich übergeben, so viel isst er. Nie dürfen die Schüsseln fehlen. Er fühlt sich nur dann wohl, kann er in jedem Augenblick – wenn er’s denn möchte – nach einem neuen Happen greifen.«
Bathildis hatte wenig damit anfangen können. Sie wusste, dass es Männer gab, die beleibter waren als die anderen, und hielt – nach Odas Worten – auch den König für einen solchen. Doch wie sie ihn da seufzen hörte – es geschah mehr als einmal, fastnach jedem Bissen –, so begriff sie jäh, dass es nicht die gewöhnliche Gier
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