Die Regentin (German Edition)
war, die ihn dazu antrieb, sondern eine schwere, bei einem Mann seines Ranges kaum zu vermutende Niedergeschlagenheit.
Bathildis hob ein zweites Mal zaghaft den Blick, um diesmal nur den König zu mustern.
Wie traurig, ging ihr durch den Kopf, wie unendlich traurig er ist...
Vorhin war sie nach außen hin wendig gewesen, jedoch innerlich erstarrt. Nun, da die Ahnung eines vertrauten Gefühls sie traf, so war’s ihr Leib, der plötzlich keiner Regung mehr fähig war.
»Was ist, Mädchen!«, traf sie eine Stimme. »Willst du dem König nicht einschenken?«
Der rotäugige Ebroin hatte sie entdeckt. Gewiss erkannte er sie nicht wieder von ihrer ersten Begegnung am Tümpel, doch wiewohl seine Stimme forsch und befehlend klang, so erschien auf seinen blutleeren, bislang gleichgültigen Lippen ein Grinsen, das alsbald zu einem lauten, schrillen Gelächter wurde. Es schien den ganzen Saal zu erfüllen und jegliche Stimme zu übertönen.
»Was für eine hübsche Sklavin du vor uns versteckst, Erchinoald!«, rief er aus.
Sämtliche Blicke trafen sie nun, gewiss auch der empörte von Leutsinda – doch von allen spürte sie jenen von Ebroin am stärksten. Bathildis zwinkerte, suchte starr auf den Boden zu blicken und fühlte doch, wie seine Augen an ihrer Gestalt hinauf- und herunterkrochen, mehr als nur einmal, als wolle er sie nicht nur ansehen, sondern sie sich in sämtlichen Lagen des Lebens vorstellen.
Der Einzige, der nicht starrte, war der König. Seufzend aß er weiter, und Ebroin schob ihm, noch im gierigen Schauen, eine weitere volle Schüssel zu, die man offenbar ihm selbst gebracht, aus der er aber nichts genommen hatte.
»Sie ist ein Ausbund von Keuschheit, was immer Euch bei Ihrem Anblick auch einfallen mag«, sprach indes Erchinoald, zuerst grimmig, dann gleichfalls grinsend. Es gefiel ihm wohl nicht, dass Bathildis bei der Tafel erschienen war, doch zugleich schien er zu erahnen, wie sehr dies Leutsinda verärgerte. »Nun gut, schenk Wein ein, Mädchen!«, forderte er sie mit versöhnlicher Stimme auf.
Einen Augenblick verharrte Bathildis unschlüssig. Dann trat sie vor, an Erchinoald vorbei, kam neben dem grinsenden Ebroin zu stehen. Sie fühlte seinen Blick in ihrem Rücken, packte die Amphore ob des Zitterns ihrer Hände fester und hob sie hoch, um dem König einzuschenken. Sie war festen Willens, ihre Pflicht so rasch wie möglich hinter sich zu bringen, ohne weitere spöttische Worte herauszufordern. Ebroin unterließ es auch zu sprechen – jedoch, just als sie neben ihm stand, da hob er seine Hand und streifte mit einem dünnen, langen Finger ihren nackten Oberarm.
Nur flüchtig fiel die Berührung aus.
Schon wich die Hand auch wieder zurück – doch es war zu spät.
Siedend heiß stieg es in Bathildis’ Gesicht. Sie zuckte zusammen, und als sie die Amphore kippte, floss deren Inhalt nicht in des Königs vergoldeten, mit Edelsteinen besetzten Kelch, sondern auf seine Purpurtunika.
Dem König fiel der Knochen aus der Hand, an dem er eben genagt hatte. Er war noch voll von weichem, weißem Hühnerfleisch. Nun, da Bathildis so nahe bei ihm stand, sah sie, dass seine Bissen sehr klein waren und die Spuren seiner Zähne jenen von Kindern glichen.
Chlodwig zuckte zusammen, so wie all die anderen auch. Sie waren sprachlos ob jener unverzeihlichen Ungeschicklichkeit und blickten aus finsteren Mienen. Chlodwig freilich nicht. Erstmals sah Bathildis in seine Augen, sah die bleichen, etwas aufgeschwemmtenund darum weibisch wirkenden Züge. Er hatte schmale Schultern, von denen die dünnen Oberarme wie Hanfstricke baumelten, nachdem er das Essen hatte fallen lassen.
Seine Augen war von einem nichtssagenden Grau, als hätte man einen dunklen Fleck vergebens aus einem Stück Stoff zu reiben versucht. Nun, da sie auf Bathildis gerichtet waren, waren sie weit aufgerissen – und schreckerfüllt. Mehrmals blickte er auf seine befleckte Tunika nieder und wieder zurück zu ihr, und ein jedes Mal schlich sich mehr Sorge in sein Gesicht, gerade so, als wäre er eben einem Mordanschlag entgangen.
Dann plötzlich hob er die feinen Hände, begann ungeschickt an dem Fleck zu reiben, als hoffte er, damit nicht nur ihr Vergehen unsichtbar zu machen, sondern alle Spuren seiner Angst wegzuwischen.
Bathildis konnte nicht begreifen, was vorging. Sie hatte erwartet, dass er rasen würde. Denn auch das hatte ihr Oda von ihm erzählt: dass der König nicht nur stetig esse, gleich, wo er sich befände, sondern dass
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