Die Regentin (German Edition)
den Schultern. Wie ausgedörrt war ihr Kopf – doch je länger Odas Blick auf sie gerichtet war, desto deutlicher nahm ein Gedanke Gestalt an, erwachte, einem zaghaften Glimmen gleich, die Aussicht auf mögliche Labsal.
»Da gäbe es noch etwas zu bedenken«, begann sie langsam und berechnend und wehrte sich nicht länger gegen das Ansinnen. »Denkst du, den hohen Herren würde es gefallen, wenn ich mit einem Lumpenkittel vor ihnen erschiene?«
Die Wohltat, neue Kleidung zu bekommen, war so groß, dass Bathildis noch viel mehr dafür getan hätte, als bloß für die Verbrannten einzuspringen. Im Saal des Königs Speise und Trank zu reichen deuchte sie kaum angenehmer als ihre anderen Pflichten – jedochumso mehr, das über und über mit Flicken übersäte Kleid endlich auszuziehen.
Oda war schnell der Ansicht gefolgt, dass sie in ihrem üblichen Aufzug nicht in die Nähe des Königs oder der Großen des Reichs treten dürfte. Wortlos hatte sie ihr alsbald all das angetragen, was Bathildis lange Monate umsonst ersehnt hatte: einen hölzernen Kamm, mit dem sie das Haar auskämmen konnte, ein Unterkleid aus weißem Leinen, darüber einen grauen Mantel, der an der Brust mit einigen metallenen Fibeln geschlossen und in der Taille mit einem Gürtel aus braunem Leder zusammengehalten wurde. Dazu gab es Schuhe – nicht nur den üblichen Fetzen Leder, der an den Knöcheln zusammengebunden wurde, sondern solche mit fester Sohle und mit Spangen zum Schließen.
»Nein, keine Zöpfe – das ist die Haartracht der jungen Mädchen!«, sagte Oda, die ihr zusah, wie sie sich schweigend neu einkleidete und sich frisierte. »Manch ein Mann bekommt beim Anblick einer Jungfrau Appetit – auch wenn jene nur eine Sklavin ist, er aber ein hoher Herr. Trag die Haare so, wie’s hier im Frankenreich den Eheweibern angeraten ist.«
Sie trat zu ihr, nahm ihr den hölzernen Kamm aus der Hand und scheitelte das Haar in der Mitte, um es hernach im Nacken zu einem Knoten zu verschlingen.
»So ist’s auch von den Römerinnen überliefert«, setzte Oda hinzu.
»Sag«, meinte Bathildis und kratzte sich das Schwarze unter den Nägeln weg. »Sag... was nun soll ich tun, um Leutsinda nicht zu erzürnen?«
»Warte, bis sie Platz genommen hat. Vor allen Leuten wird sie nicht wagen, dich fortzuschicken.«
»Und sonst... was soll ich an Diensten verrichten?«
»Sieh zu, dass die Speisen in der richtigen Reihenfolge auf die Tafel kommen«, sagte Oda und hob an zu erklären, welche Speisen vorgesehen waren. Bathildis unterbrach sie nicht undstellte keine Fragen, um der Annahme nicht zu widersprechen, dass sie – als einstige Fürstentochter – schon öfter dergleichen Festschmaus erlebt hatte. Dem war nicht so, denn das Essen im Kloster war stets schlicht gewesen – einzig an den großen Feiertagen und manchmal am Sonntag gab es Fleisch – und unterwegs mit Aidan und ihrem Vater hatte sie kaum Besseres gegessen als später nach der Verschleppung. Doch da Oda daran glaubte, dass sie nichts gänzlich Neues hörte, nickte sie dann und wann bekräftigend.
»Nun denn...«, sprach Oda, »es beginnt damit, dass wir Leckerbissen reichen, die den Appetit anregen, gedörrte Pflaumen, gekochte Kastanien, feines Gebäck aus Weizenmehl. Hernach servieren wir die Getränke: Milch und Saft aus gepresstem Obst, Wein und Met, mit Honig gesüßt und mit Wasser verdünnt, und für jene, die’s wollen, Wermut. Davon darfst du nicht zu viel eingießen, denn sonst brennt er wie Feuer in der Kehle.«
Bathildis nickte.
»Und dann das Fleisch«, fuhr Oda fort. »Vor allem wird es Schwein und Rind geben, im Sud mit Pfeffer und Kümmel gebraten, Hühner, Enten und Gänse mit Reis und Kichererbsen... kennst du das?«
»Ich glaube nicht, dass man solches auch in Britannien isst...«
»’s kommt ja auch vom Meer im Süden... und ist nur etwas für die ganz reichen Leute. Das Wild dann: Hirsch und Reh, Wildschwein und Hase. Der eine mag’s mit Nelke gewürzt, der andere mit Zimt, Lavendel und Minze, wiederum andere mit Koriander, Senf und Dill. Schaf und Ziege gibt es nicht. Das ist zu gewöhnlich für des Königs Tafel. Du darfst auch nicht vergessen: Leutsinda verträgt nur Olivenöl, wenngleich am besten ist, du kommst ihr gar nicht erst zu nahe, verstanden?«
»Gewiss... aber was ist das: Olivenöl?«
Bathildis kannte nur solches aus Raps, Rüben oder Leinsamen.
»Wird auch von Händlern aus dem Süden gebracht, und Oliven, aus denen es gepresst wird,
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