Die Regentin (German Edition)
kennst du vielleicht – jene kleine schwarze Frucht, die der dunklen Traube gleicht. Und Garum ist dir doch auch bekannt?«
Bathildis nickte wieder. Schon manches Mal hatte sie jenes Würzmittel selbst gemacht. Fische, Salz und getrocknete Kräuter wurden in ein Fass gelegt und für zwanzig Tage in die Sonne gestellt, bis der Fisch zergangen war. Hernach wurde sämtlicher Inhalt des Fasses in ein Stück Leinen gekippt und der Saft, der hervorkam, in Amphoren abgefüllt. Selbst hatte sie freilich nur selten davon kosten dürfen – so wie alle anderen Köstlichkeiten, die Oda da aufzählte, den Sklaven verwehrt blieben. Froh durften jene sein, wenn sie zu Getreidebrei und Brot hin und wieder Kirschen und Pflaumen, Erbsen oder Linsen bekamen – und die Männer unter ihnen prügelten sich um Obstwein aus vergorenen Äpfeln, der freilich, so hatte Oda zumindest einmal gelästert, den gesunden Geist noch viel schneller betäubt als Met.
»Den Abschluss des Mahls bilden solche Oliven... und Datteln. Und der König isst gerne verschlagene Eier, mit etwas Mehl vermischt und mit eingelegten Kirschen gebraten. Du... du weißt doch noch, was ich dir über den König erzählt habe?«
Sie klang etwas unbehaglich, die Stimme so flüsternd wie damals, als sie Chlodwigs absonderliche Eigenheit in Bathildis’ Ohr geraunt hatte.
»Ich hab’s nicht vergessen«, antwortete Bathildis. Gewiss hatte sie sich manches aus Odas Worten zusammenreimen können, doch letztlich waren es zu wenige und zu rätselhafte, als dass sie das Wesen des Königs tatsächlich hätte erfassen können.
»Beim Servieren musst du dich beeilen, denn die Speisen müssen dampfend heiß auf den Tisch kommen«, mahnte Oda indessen schon, »sind sie nur lau, wird man sie zurückschicken. Am wichtigsten aber von allem ist, dass du keinem unliebsam auffällst. Vielleicht wird dich Leutsinda dann gar nicht bemerken.Du stellst die Speisen schweigend ab und gießt ebenso wortlos ein. Du tust, was man dir befiehlt, ganz gleich, was es sei, und stellst keine Frage. Ja, kein Wort sagst du zu den hohen Herrn! Du darfst ihnen auch nicht in die Augen sehen – halte deinen Blick gesenkt, vor allem, wenn du dem König nahe kommst. Kaum einem ist’s gestattet, ihm offen ins Antlitz zu blicken. Vielleicht Erchinoald, weil jener der Major Domus ist, oder Ebroin, weil sie sich von Kindheit an kennen und der König in ihm einen Bruder sieht – aber dir keinesfalls, hast du verstanden?«
»Gewiss«, sagte Bathildis rasch.
»Nun gut... dann will ich mich nun um anderes kümmern. Die Zeit reicht kaum aus bis morgen Abend...«
Seufzend und mit schwerfälligerem Schritt als sonst schritt sie davon.
Steif blieb Bathildis stehen. Seit sie die neue, saubere Kleidung trug, wollte sie sich kaum bewegen, aus Angst, irgendwo anzustoßen und sich schmutzig zu machen.
Auch spätnachts blieb sie von der Schlafstatt bei der Asche weg, hockte sich auf eine der hölzernen Bänke, auf der eine der nunmehr toten Mägde geschlafen hatte, und schrieb Aidan – diesmal nicht mit einem Stäbchen in den grauen Staub, sondern mit den Fingern auf die hölzerne Fläche, Wort für Wort, wiewohl es doch keine Spuren hinterließ.
Geliebter Aidan,
könntest du mich jetzt sehen, du würdest nicht erschaudern; so reinlich war ich nie, beinahe gleiche ich einer ehrbaren Frau. Gar wunderlich ist’s, dass mir das Leid und das elende Sterben anderer zu diesem Gut verhalfen. Und noch wunderlicher ist’s, dass ich mich darüber nicht freuen kann. Was nützt mir heute das neue Kleid, wenn ich es morgen schon wieder ausziehen muss? Werde ich, wenn ich Erchinoald dort sehe, nicht vielmehr an sein Angebot denken, mich über den Stand einer Unfreien zu erheben? Oh, wie zerrissen bin ich, fühle mich nie recht eins mit mir, weil ich nicht weiß, welchem der Wünsche, die in mir gären, ich Vorrecht geben sollte!
Ein wenig fühle ich mich wie das Land, in dem ich lebe. ’s ist nicht lang her, da hörte ich einen darüber sagen, dass es – wiewohl unter den Königen der Merowinger geeint – so dennoch voller Brüche wäre: Da wären hier die Spuren der Römer noch zu sehen und dort schon die Verwüstungen, welche die Barbaren hinterlassen hatten. Da würden an einem Ort schon prächtige Kirchen gebaut, wo am anderen noch die Ruinen der Heiden stünden. Da rühme sich manch einer, der Nachkomme eines großen Römers zu sein – sei’s eines Konsuls oder eines Mitglieds der Prätorianergarde –, wohingegen
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