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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sein Sinn in vielen Stunden seines Lebens verdunkelt sei, er oft nicht Herr seiner Worte wäre und jene manchmal so unverständlich aus ihm herausbrechen würden, als hätte man sie zuvor in seinem Kopf durcheinandergeschüttelt. Was aber war von einem solchen Mann zu erwarten, als dass er auch nun von Sinnen wäre, wütend auf sie losginge – oder sie von anderen strafen ließe?
    Stattdessen rieb er diesen Fleck, so erbarmungswürdig, so traurig, so hilflos.
    Bathildis’ Kehle schnürte sich zusammen, und kurz war das Mitleid, das in ihr erwachte, so groß, dass sie kein anderes Trachten kannte, als sich vorzuneigen, seine Hand vom Fleck zu ziehen und ihn zu trösten, wie eine Mutter es bei ihrem Kind tut: Es ist nicht so schlimm; es ist doch nichts passiert...
    Freilich kam sie nicht dazu. Erchinoald hatte sich zuerst gefasst, sprang hoch und zeigte – anders als Chlodwig – echten Ärger und jenen deutlich. Es war nicht gewiss, welchem Umstander galt – dass sie den König mit Wein beschüttet hatte oder dass sie jenem unverwandt ins Gesicht starrte. In jedem Fall packte er sie bei den Schultern, schlug ihr ins Gesicht und stieß sie von Chlodwig weg. »Verfluchtes Ding!«
    Die Wucht des Schlags ordnete ihre Gedanken, ließ das Mitleid für den König schwinden und zugleich die eigene Schwermut erwachen, auch das Hadern ob ihres unwürdigen Ranges, der anderen erlaubte, sie zu bestrafen.
    Sie rappelte sich auf – nicht mühsam, sondern wendig wie eine Katze, um alsbald wieder dort zu stehen wie eben noch. Sie hob den Blick, wissend, dass sie damit nichts anderes heraufbeschwören würde als ihren Untergang, doch ohne Angst davor, vielmehr entschlossen, ihn mit größter Würde zu erleben. Ihr Wunsch zu sterben ergriff sie übermächtiger als je zuvor – vielleicht, weil sie seiner Erfüllung nie näher gewesen war.
    »Ego sum homo et non causa. Quid me caedis? Usquequo gravi corde? Creavit Deus meam ad imaginem suam et non ad animalem. Ego autem conparatus sum luto et adsimilatus favillae et cineri...«
    Ich bin ein Mensch, kein Ding. Warum schlägst du mich? Wie lange schmäht ihr mein Elend? Gott schuf mich nach seinem Ebenbilde und nicht als Tier. Mich aber hat man in den Schlamm getreten und mich dem Staub und der Asche gleichgesetzt.
    Erchinoald starrte verblüfft.
    Schau du nur!, höhnte Bathildis innerlich, um sämtliches Unbehagen im Keim zu ersticken. Du weißt doch, dass eine Fürstentochter wie ich das Lateinische beherrscht – und hast doch nie auf meine Herkunft geachtet!
    »Ego sum figura substantiae eius et gloriae, sed cinerem tamquem panem manducavi et poculum meum cum fletu miscebam?«
    Ich bin das Ebenbild seines Wesens und seiner Herrlichkeit – und aß doch Asche wie Brot und mischte meinen Trank mit Tränen?
    Des Königs Blick traf sie wieder. Er schien den Fleck vergessen zu haben und starrte sie unverwandt an. Der Ausdruck von Sorge war aus seinem Gesicht verschwunden: Stattdessen war er jetzt überrascht – und das schien er nicht oft zu sein. Der Umstand, dass er nicht weiteraß (viel aufsehenerregender als die Frechheit einer Sklavin), erregte bis in die hinterste Ecke des Saals Aufmerksamkeit. Jeder hatte nun sein Mahl vergessen; jeder den Kelch, den er eben noch zu den Lippen geführt hatte, wieder gesenkt. Die Flötenspieler senkten ihre Instrumente; die Tänzer hielten mitten in ihren Figuren inne.
    »Vae vobis!«, fuhr Bathildis fort. Längst hatte sie die Grenze überschritten, an der sie ihre Worte hätte zurücknehmen können; anstatt um Verzeihung zu bitten, klagte sie an: »Vae vobis! Quare gravatis corda vestra? Quare non respecitis humilitatem meam, non salvatis de necessitatibus animam meam?«
    Weh Euch! Warum verhärtet Ihr Eure Herzen? Warum erkennt Ihr nicht mein Elend, seid Ihr nicht mit meiner Not vertraut?
    Sie sprach in die Stille hinein. Als sie geendigt hatte, dauerte es eine Weile, bis ein Laut ihrem Reden folgte. Es war ein Lachen. Der rotäugige Ebroin, der von ihnen allen am entspanntesten auf seinem Sofa liegen geblieben war, musterte sie erneut von oben bis unten und schüttelte sich hernach so vor Vergnügen, dass ihm das weißblonde Haar ins bleiche Gesicht fiel.
    Jenes Lachen löste Erchinoald aus der Erstarrung; es gemahnte ihn daran, dass er nicht untätig bleiben durfte. Ein zweites Mal ging er auf Bathildis zu, und diesmal, so wusste sie, würde er sie nicht einfach ohrfeigen, sondern erschlagen. Mancher Sklave hatte aus nichtigeren Gründen

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