Die Reise in die Dunkelheit
Hintergrund standen, einen flüchtigen Wink. Sofort stürzten sich die zwei Kleiderschränke auf Taran, drehten ihm den Arm auf den Rücken und zwangen ihn auf die Knie.
»Du bist ein tapferer Krieger, aber dumm«, rief Sitting Bull und sprang von seinem Massagesessel auf. »Warum bist du über das Große Wasser gegangen und hast die Götter geweckt? Wir haben ihren Zorn gesehen. Eine Feuerblume am Horizont. Genau wie an dem Tag, als die Welt unterging. Feuerblumen sind schlecht! Die Götter fordern ein Opfer. Und unser Stamm wird es bringen!«
»Was redest du für einen Blödsinn?! Was für Götter denn, zum Henker? Da hat jemand eine Bombe gezündet. Kapierst du das, du Idiot?«
»Bringt ihn weg«, winkte der Häuptling ab. »Tut mir leid, Söldner, aber die Götter zürnen uns und um sie zu beschwichtigen …«
Den Rest des Satzes verstand Taran nicht mehr. Man schleppte ihn hinaus und dann weiter in die Mitte des Saals, wo sich zu Zeiten des Museums eine massive, horizontale Platte mit einem Reliefmodell der »heldenhaften Schlacht um Leningrad« befunden hatte. Die Platte war immer noch da, nur dass sie mittlerweile anscheinend als Opferaltar diente, wie herumliegende Hunde- und Rattenschädel vermuten ließen.
Man fesselte den Stalker an den Händen und stieß ihn auf das mit Bronze vergütete Podest. Nach und nach versammelten sich die Bewohner der Gedenkstätte tuschelnd um den Ort des Geschehens . A uch die schmutzigen Kinder der Stummel drängten sich dazwischen und erfanden sofort ein spannendes Spiel: Sie schlichen sich eines nach dem anderen an den sonderbar gekleideten Gefangenen heran, berührten kurz den Stoff seines Schutzanzugs und liefen kreischend davon.
Nun gut … Eine solch unerfreuliche Entwicklung der Ereignisse war zwar wenig wahrscheinlich gewesen, doch Taran hatte sich darauf vorbereitet. Er nützte das Spektakel, das die Kinder veranstalteten, um die gefesselten Hände hinter seinem Rücken unbemerkt ein Stück zu bewegen. Dabei schob er eine Gürtelschlaufe zur Seite und entblößte eine rasiermesserscharfe Klinge, die direkt in das Leder des breiten Riemens eingearbeitet war. Es war kein Problem, den zerfaserten, halb verrotteten Strick durchzuschneiden. Jetzt musste er nur noch auf Sitting Bull warten. Er konnte es kaum erwarten, diesem scheinheiligen Typen ein paar Takte zu flüstern.
Sitting Bull erschien in einem Zeremoniengewand . A uf dem Kopf trug er einen geschmückten Werwolfschädel, über seinen Schultern hing ein alberner Umhang mit Leopardenmuster. Bei genauerem Hinsehen stellte Taran erstaunt fest, dass es sich dabei um einen alten Vorhang handelte . A m Rand waren deutlich die Befestigungsösen zu sehen.
In der Hand des Häuptlings funkelte eine Klinge . A ls Opfermesser kam ein Samurai-Tanto zum Einsatz. Kein echtes natürlich, sondern eine gewöhnliche Nachbildung mit einem geschmacklos gestalteten Griff, wie sie vor der Katastrophe massenhaft hergestellt und in sämtlichen Waffengeschäften an Souvenirjäger verscherbelt wurden. Die erregten Aufschreie unter den Stummeln ließen indes vermuten, dass die krumme Attrappe nicht zum ersten Mal benutzt wurde und für das bevorstehende Ritual durchaus geeignet war.
Wie der Söldner erwartet hatte, erging sich Sitting Bull in einer schwülstigen Rede über erzürnte Götter, über Vorboten eines neuerlichen Jüngsten Tags und über die Ruhestörer, die es gewagt hatten, in das verbotene Land jenseits des Großen Wassers vorzudringen. Das übliche Repertoire naiv-religiöser Hirngespinste. Es war nur befremdlich, diesen unsäglichen Stuss aus dem Mund eines Menschen zu hören, der durchaus Grips im Kopf hatte. Vermutlich stellte der Häuptling sich absichtlich dumm, weil ihm nicht daran gelegen war, die Dinge vor seinen Stammesbrüdern beim Namen zu nennen. Es blieb also nichts anderes übrig, als dem jungen Mann unter vier Augen auf den Zahn zu fühlen.
Die Wilden hingen an den Lippen ihres Anführers. Während er sprach, stöhnten sie immer wieder auf und warfen ihre mageren, tätowierten Arme in die Luft. Bis zuletzt konnte der Stalker kaum glauben, dass die Stummel tatsächlich bereit waren, einen Menschen zu opfern, einen Fremden zwar, dem absurde Dinge vorgeworfen wurden, aber eben doch einen Menschen. Seine bisherige Meinung über dieses Völkchen hatte sich leider als irrig erwiesen. Was er vor sich sah, war kein stolzer Stamm, sondern nichts weiter als ein Häuflein armseliger Barbaren.
Nachdem der
Weitere Kostenlose Bücher