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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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marmorverkleideten Raums hatte ihn damals sehr beeindruckt. Nun galt es, diese Erinnerungen aufzufrischen.
    Ein gewaltsames Vorgehen hatte sich der Söldner nach der brüsken Abfuhr von Dym aus dem Kopf geschlagen. Es wäre völlig aussichtslos gewesen, sich allein mit dem ganzen Stamm anzulegen. Er wollte sein Anliegen ganz offen vorbringen und hoffte auf einen friedlichen Dialog. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass er es mit den schrulligen Bewohnern der Gedenkstätte zu tun bekam, und bislang hatte er sich noch immer mit ihnen geeinigt. Was heute geschehen war und was die Stummel zu einem so heimtückischen und dreisten Vorgehen veranlasst hatte – das musste er erst noch herausfinden.
    In einem gewissen Sicherheitsabstand zur Mauer blieb der Stalker stehen, nahm sein Gewehr von der Schulter und streckte den Arm mit der Waffe zur Seite, um seine friedlichen Absichten zu demonstrieren.
    Zunächst einmal passierte überhaupt nichts. Unentwegt heulte der schneidende Sankt Petersburger Wind und dieses Geräusch war das Einzige, das die Stille durchbrach.
    Als Taran sich umsah, bemerkte er bei den Ruinen desUniwermags »Moskowski« eine bekannte Silhouette. Der vierbeinige »Schatzsucher« hatte sich nun doch von seinem Müllhaufen getrennt und offenbar beschlossen, den Fremdling in seinem Jagdrevier genauer zu begutachten. Tief geduckt schwenkte die Bestie ihre Schnauze hin und her, um mit ihrem feinen Geruchssinn zu ergründen, ob der Zweibeiner möglicherweise fressbar war.
    Zusätzliches Unbehagen verursachte der Umstand, dass die Festung der Stummel sich in gefährlicher Nähe zu den Südlichen Sümpfen befand, die in der Metro längst traurige Berühmtheit erlangt hatten. Die Randbereiche waren von hier aus bereits zu sehen. Diese wilde, gottverlassene Gegend, über der giftige Dämpfe waberten, erstreckte sich weit nach Süden bis zu den Pulkowo-Höhen. Gerüchten zufolge sickerten die schlimmsten Bestien von hier in die verlassene Innenstadt ein. Zuverlässige Erkenntnisse gab es kaum, denn aufgrund des undurchdringlichen Morasts und astronomischer Strahlenwerte verspürten auch die Stalker keinerlei Motivation, die südlichen Vorstädte zu erkunden.
    Vergeblich mühte sich der Stalker, in den schmalen Schießscharten der Mauer verborgene Beobachter zu erkennen. Es war einfach zu dunkel. Ein Knarzen. In der hermetischen Barrikade hatte sich ein unscheinbares Tor geöffnet, aus dem ein schmutziger Stummel heraustrat. Er trug einen Lendenschurz und ziemlich neue Turnschuhe, wenn auch mit nackten Füßen. Wo er die wohl aufgetrieben hatte, der Lump? Der Wilde bedeutete dem Stalker mit einer Geste, ihm zu folgen, und verzog sich eilig wieder ins Innere der Festung.
    Jenseits der Mauer öffnete sich ein ziemlich großer Raum. Überall standen hölzerne Stützkonstruktionen, die das selbstgebaute Kuppeldach trugen . A n der Innenseite der Mauer hingen ein paar Fackeln, in deren Licht aller möglicher Krempel lag. Die Stummel hatten ihn aus der ganzen Gegend zusammengetragen: Ziegel, Schiefer, Eisen, Holz, Beile und Spitzhacken, Kanonenöfen und Kohlenbecken, Rucksäcke und Zelte … All das würde früher oder später in der Metro landen und zur Ausstattung neuen Lebensraumes dienen.
    Während Taran an einem Stapel mit Eisenblechen vorbeiging, warf er einen besorgten Blick auf sein Dosimeter, das heftig zu knacken begonnen hatte. Die Wilden schienen derlei Nebensächlichkeiten nicht weiter zu stören.
    Der Stummel mit den Turnschuhen führte den Stalker zum Eingang des Museums. Ein paar Bewohner der Gedenkstätte, die sie auf dem Weg dorthin trafen, verfolgten den Besucher mit durchdringenden Blicken. Taran war alles andere als wohl dabei. Man wusste ja nie, was im Kopf dieser Barbaren vorging.
    Der Weg hinunter in die Behausung der Stummel hatte nichts mehr mit jenen grotesk-feierlichen Treppenfluchten gemein, die Taran aus seiner Jugendzeit kannte. Wo die mit Marmor und Basalt ausgeschmückten Treppenvestibüle einst eine tempelhafte Atmosphäre schufen, prägten nun mit Unrat und Müll verschmutzte Stufen und rußgeschwärzte Wände das Bild.
    Der Stalker machte sich bereits darauf gefasst, dass auch im »Gedenksaal« nicht mehr alles so aussehen würde wie früher, doch der Anblick, der sich ihm kurze Zeit später dort unten bot, versetzte ihm dennoch einen Schock. Die Mosaikwandbilder, die Flaggen an den Wänden, die Granitvitrinen mit den Exponaten – alles verschwunden. Das ehrwürdige Museum hatte

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