Die Reise in die Dunkelheit
Isolierband . A us dem Gang drang bereits Gepolter herüber: Die Stummel waren dabei, die Tür aufzubrechen. Jetzt musste es schnell gehen. Die Injektion eines Stimulans und ein paar Ohrfeigen brachten den Verwundeten wieder zu Bewusstsein.
»Hast du das gemacht?«, erkundigte sich Sitting Bull verwundert, als er den improvisierten Verband an seinem Oberarm bemerkte. »Danke. Ich … Weißt du, Taran … Ich wollte das alles nicht …«
»Muss ich meine Frage wiederholen?«
»Nein, nein, ich sage alles.« Der Häuptling legte die Stirn in Falten und hielt sich den verletzten Arm. »Ich hatte keine andere Wahl. Der Stamm ist verängstigt wegen der Explosion und sucht einen Schuldigen. Was hätte ich sonst tun sollen?«
»Wo ist Gleb?«
»Ich weiß es nicht …« Sitting Bull war völlig aufgelöst, fast panisch. »Ehrenwort! Den Trupp, der ihn holen sollte, hatte ich schon gestern losgeschickt. Er ist aber nicht zurückgekommen.« Als der Häuptling den vernichtenden Blick des Söldners bemerkte, sprach er hastig weiter. »Aber ich kann dir beschreiben, welche Route sie genommen haben. Warte.«
Der Häuptling beugte sich vor, fuhr mit dem Finger über den staubigen Boden und zeichnete in kürzester Zeit einen vereinfachten Plan des unterirdischen Labyrinths . A ls aus dem Gang das Kriegsgeschrei der Verfolger herüberschallte, wusste der Stalker bereits, wo er suchen musste.
»Bete zu Gott, dass Gleb nichts passiert ist«, sagte Taran. »Andernfalls komme ich zurück, und dann bist du erledigt.«
Er packte seine Sachen und stieg auf die Leiter.
»Sei mir nicht böse, Taran«, murmelte der junge Häuptling und senkte verschämt den Blick. »Ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte mich nicht überreden lassen dürfen …«
Der Stalker blieb noch einmal kurz stehen.
»Du hast dir eine schlechte Gesellschaft ausgesucht. Heute ist Sitting Bull der kluge Kopf des Stammes, aber morgen schon fängt der Kopf von Sitting Bull zu stinken an wie bei allen anderen. Das ist ein Irrweg. Und das weißt du auch. Leb wohl …«
Als die Stummel in den Betriebsraum stürmten, fanden sie nur ihren Anführer vor. Der Stalker war längst im Untergrund verschwunden.
Während die Wilden Sitting Bull zurück in ihre Behausung eskortierten, sprach dieser kein einziges Wort. Er schaute seine Stammesgenossen nur befremdet an, als sähe er sie zum ersten Mal. Tarans schlichte, aber drastische Abschiedsworte hatten Wirkung gezeigt und ihn sehr nachdenklich gemacht.
5
DIE FRIEDHOFSSTATION
Plopp … Plopp … Plopp. Das gleichmäßige Tropfgeräusch, das von überallher gleichzeitig kam, konnte einen in den Wahnsinn treiben . A ls würde alles ringsum – Tonnen von Erde und die niedrige Betondecke – zu einem Brei aufweichen, um den dreisten Eindringling lebendig zu begraben. Warum hatte er sich auch in den alten, durchwässerten Kanal vorgewagt?
Es bedurfte einer sehr belastbaren Psyche, um in diesem Reich des absoluten Nichts die Nerven zu behalten. Kein Lichtschimmer in der tintenschwarzen Leere, kein Lebenszeichen unterirdischer Bewohner, nicht der leiseste Lufthauch eines Tunnelwindes … Nur der schwache Schein der Stirnlampe, die schwarze Brühe unter den Stiefeln und der endlose, ins Nichts führende Kanal, dessen glitschige Wände den Eindruck einer surrealen Reise durch den Bauch einer gigantischen Schlange erweckten.
Die ständige Feuchtigkeit und undurchdringliche Finsternis hatten hier ein einzigartiges Ökosystem entstehen lassen . A n den feuchten Wänden fielen Taran neben dem allgegenwärtigen Schimmel blass rosafarbene, schleimige Klumpen auf . A ls der Stalker im Augenwinkel eine Bewegung bemerkte, blieb er stehen, um eines der Gebilde genauer zu betrachten. Der Schleimbatzen zuckte kaum merklich, manchmal zog er sich zusammen, veränderte sich in Form und Größe. Ein ekelhafter Anblick.
Von solch bizarren Wesen, die sich in Abwasserrohren ansiedelten, hatte Taran schon vor der Katastrophe gehört. Im Internet war damals von einer angeblich unbekannten Lebensform berichtet worden. Später hatte sich herausgestellt, dass es sich lediglich um Schlammröhrenwürmer handelte, die sich zu Klumpen zusammenballten. Diese Klumpen waren jedoch viel größer und beweglicher als ihre Pendants aus dem Video einer Rohrinspektionskamera, das damals im Netz für Furore gesorgt hatte. Das verstrahlte Grundwasser wirkte sich offenbar förderlich auf die Entwicklung dieser gelatinösen Miniaturmonster aus.
Beim Weitergehen
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