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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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das sich ohnmächtig in sein Schicksal gefügt hatte und wie ein grauer Schatten dahinvegetierte. Vor jenem Jammerlappen, der nichts mehr gemein hatte mit dem früheren Semjon Michailowitsch, einem angesehenen Mann und stolzen Mitarbeiter der Metro.
    Nun fielen ihm die grinsenden Visagen der Heiden wieder ein, ihr besoffenes Gegröle und ihr sadistisches Gelächter, als er sie anflehte, seine Frau zu verschonen …
    In diesem Augenblick ging ein Ruck durch den alten Mann. Die Angst, die ihn all die Jahre gelähmt hatte, war auf einmal wie weggeblasen. Migalytsch atmete wie befreit, trotz der stickigen Luft im Tunnel.
    »Ich werde euch zeigen, wozu ein Lokführer imstande ist, ihr Schweine!«
    Der Mechaniker machte sich bereit zum Aufbruch. Hektisch räumte er Kisten und Kanister vom Gleis, zog die Schläuche vom Tankwagen ab und kletterte in den Führerstand. Nach einigem Orgeln und Spucken sprang der Motor an und die Karosserie der Lok begann zu vibrieren.
    Langsam erwachte der Metrodinosaurier aus seinem langen Schlaf . A m Tankwagen ging ein Scheinwerfer an und beleuchtete den Tunnelabschnitt vor der Lok. Das Herz des Alten schlug schneller und seine Augen begannen zu leuchten. Es hatte ihn immer schon fasziniert, so ein tonnenschweres Eisenmonster fortzubewegen. Jetzt erwachte diese Leidenschaft aufs Neue in ihm. Er legte den Rückwärtsgang ein, und die Lok stieß eine schwarze Rauchwolke aus. Der Tunnelwaschzug setzte sich in Bewegung und nahm langsam Fahrt auf. Die rostigen Räder klopften an den Stößen der Gleise.
    Eine Zeit lang sah Migalytsch durch die Frontscheibe noch das Gewölbe des Wendetunnels, das ihm viele Jahre als Behausung gedient hatte . A uf einmal verstand er nicht mehr, wie er es in diesem erbärmlichen Loch so lange ausgehalten hatte. Jetzt, da der Stalker den Finger in die Wunde gelegt hatte, konnte der alte Mann die Vergangenheit nicht länger ruhen lassen.
    Der Zug holte Taran ein Stück hinter der Wolkowskaja ein. Der Söldner wunderte sich, ließ sich jedoch nichts anmerken. Er sprang im Fahren auf und schlüpfte in den Führerstand. Der Alte war kaum wiederzuerkennen. Die grimmige Entschlossenheit des Stalkers hatte sich wie ein Virus auf ihn übertragen. Ein kurzer Blickwechsel genügte – da wussten beide: Diesen Weg werden wir zu Ende gehen.
    »Wir müssen zur Überleitstelle bei der Sadowaja «, schrie der Lokführer über das Dröhnen des Motors hinweg. »Zum Schwungholen bleiben wir direkt am Kontrollposten stehen, stellen die Weiche um und dann schauen wir mal, was wir aus der alten Kiste noch rausholen können!«
    »Soll ich nicht besser allein fahren?«, fragte Taran mit einem sorgenvollen Blick auf den gebrechlichen Greis. Er musste wenigstens versuchen, ihn von diesem Himmelfahrtskommando abzubringen.
    »Das ist meine Lok, Junge. Mit der habe ich mein ganzes Leben verbracht. Und sie wird auch dabei sein, wenn ich ins Gras beiße.«
    Der Lokführer zwinkerte dem Stalker vergnügt zu und sein zahnloser Mund formte ein breites Grinsen. Taran wusste, dass Widerspruch zwecklos war . A uch Migalytsch musste seine Rechnung mit den Heiden begleichen.
    Die bis zur Decke reichende Holzwand im Tunnel stellte eine recht ungewöhnliche Barrikade dar . A ls Schutz vor einem Angriff schienen die grob zusammengezimmerten Bretter nur bedingt geeignet. Der Lauf des schweren Maschinengewehrs, der aus einer Schießscharte ganz oben unter dem Tunnelgewölbe ragte, sah zwar einigermaßen furchterregend aus. Ob man damit jedoch eine gut koordinierte Attacke abwehren konnte, stand auf einem anderen Blatt.
    Das größte Abschreckungspotenzial besaßen das überdimensionale H, das mit weißer Farbe über die gesamte Bretterwand gemalt war, und die Leichen von ein paar Unglücksraben, die an Haken unter der Decke hingen. Dieser Anblick hatte bislang gereicht, um ungebetene Gäste fernzuhalten.
    Der Räuberklan, der sich im Betriebstunnel zwischen der Sadowaja und der Dostojewskaja eingenistet hatte, erfreute sich trauriger Berühmtheit. Die Horrorgeschichten über die Gräueltaten dieser Bastarde hatten in der gesamten Metro die Runde gemacht. Zum Großteil entsprachen sie der Wahrheit, selbst wenn sensationslüsterne Fabulanten das eine oder andere Detail hinzudichteten.
    Nichtsdestotrotz handelte es sich um eine relativ kleine Bande, die nicht stark genug war, um die mächtigen Stationen im Zentrum anzugreifen. Die Heiden lebten deshalb von Überfällen auf schwächere Siedlungen in den

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