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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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dass Gleb tatsächlich nicht bei den »Grünen« war.
    Nachdem der Söldner das angebotene Mittagessen ausgeschlagen hatte, überquerten sie den blankgewienerten Exerzierplatz in der Mitte des Bahnsteigs. Taran wollte den Vorposten des Imperiums schon verlassen, als ihm plötzlich einfiel, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte: seine Medizin.
    »Warte hier, ich komme gleich zurück«, sagte Satur, nachdem der Stalker sein Anliegen vorgetragen hatte, und fügte grinsend hinzu: »Wenn’s recht ist, verrechnen wir deine Patronen dann mit den Ampullen.«
    Der Veganer verschwand in einem Gang. Taran schaute sich um und entdeckte ein paar leere Kisten an der Wand . A uf einer davon ließ er sich nieder und beobachtete das Treiben am Bahnsteig . A b und zu huschten Soldaten vorbei, die Säcke, eisenbeschlagene Truhen und sonstigen Krempel schleppten. In der Nähe drillte ein älterer Kämpfer mit einer Narbe auf der Wange eine Gruppe von Rekruten, indem er sie Liegestütze und Kniebeugen machen ließ.
    Dem Stalker fiel ein, wie er seinerzeit Gleb getriezt hatte, um ihm das Nötigste zum Überleben beizubringen. Wo war der Junge jetzt? Welche Richtung hatte er nach seiner Flucht eingeschlagen? Taran hatte seine Spur verloren. Blieb nur zu hoffen, dass es Gleb gelungen war, sich mit Glück und Köpfchen zur Primorski-Allianz durchzuschlagen . A ls Nächstes war wohl ein Abstecher zur Ploschtschad Wosstanija angesagt …
    Lautes Gelächter von Soldaten riss den Stalker aus seinen Gedanken. Die Männer verhöhnten einen klapprigen Knecht, der sie nach dem Training mit Wasser bediente. Der halb blinde Greis krümmte sich unter der Last der Wasserkanne, die er sich auf den Rücken geschnallt hatte. Während er auf seinen dürren Beinen zwischen den Soldaten umhertaumelte, hagelte es von allen Seiten Schubser und Ohrfeigen. Ein Wunder, dass der Mann nicht zu Boden ging.
    Nachdem er endlich alle bedient hatte, humpelte der Sklave zur Wand hinüber und versuchte, sich der viel zu schweren Last zu entledigen. Vergeblich zerrte er an den Riemen der Tragevorrichtung, die schmerzhaft in seine schwachen Schultern einschnitten. Der Söldner konnte das nicht länger mit ansehen, eilte herzu und half dem Ärmsten, die schwere Kanne auf den Boden zu stellen. Der grauhaarige Wasserträger sah sich ängstlich um, doch offenbar kümmerte sich niemand um sie. Er starrte den Stalker mit seinen verblichenen, trüben Augen an und dankte ihm mit einem flüchtigen Kopfnicken.
    Taran durchfuhr es wie ein Stromschlag. Diesen Blick kannte er. Ein kluger, lebendiger und immer noch entschlossener Blick – trotz der Strapazen des Sklavendaseins. Genau so schaute Gleb. Der Stalker musterte den Wasserträger. Wenn man sich die pathologische Magerkeit und die tiefen Gesichtsfurchen wegdachte, war die Ähnlichkeit unverkennbar. Sollte dieser Mann …
    Der Söldner kramte hektisch in seinen Taschen und zog das Feuerzeug heraus. Der alte Mann stutzte und griff unwillkürlich danach.
    »Kannst du sprechen?«, flüsterte Taran.
    Der Knecht nickte energisch. In seine kurzsichtigen Augen traten Tränen.
    »Gleb … Mein Sohn …«, stammelte er kaum hörbar. »Wie geht es ihm? Du hast dich doch um meinen Jungen gekümmert, nicht wahr?«
    Der Stalker starrte den ausgezehrten alten Mann konsterniert an und konnte es immer noch nicht glauben. Glebs leiblicher Vater, den dieser schon lange für tot hielt, lebte! Über den Daumen gepeilt musste er etwa in Tarans Alter sein. Die Jahre in der Sklaverei und die ständigen Misshandlungen hatten ihn vorzeitig altern lassen. Glücklicherweise war er wenigstens hier gelandet und nicht auf einer der inneren Stationen des Imperiums, wo man ihn auch noch verstümmelt hätte wie all die anderen Knechte dort . A n der Plan verzichteten die »Grünen« auf derlei Barbareien, weil er die Vorzeigestation des Imperiums war. Man wollte sich den neu angeworbenen Rekruten in einem guten Licht präsentieren …
    »Gleb geht es gut …« Taran brachte es nicht fertig, dem alten Mann die Wahrheit zu sagen. »Er ist gesund und munter. Ein gescheiter Junge! Sei ganz beruhigt, jetzt wird alles gut.«
    Der Alte begann zu zittern und seine vertrockneten Lippen formten ein Lächeln. Freudentränen kullerten über sein faltiges Gesicht.
    »Du wirst ihn bald sehen, das verspreche ich dir! Ich hole dich hier raus, dann kannst du selbst mit ihm …«
    »Nein … Auf keinen Fall … Ich mach es eh nicht mehr lang«, brabbelte der Knecht zahnlos und

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