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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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Disziplin zu wahren.
    Innerhalb weniger Minuten gingen in der zentralen Bahnsteighalle und in den Fluchten der Gleisbereiche die Lichter aus. So verkündete man hier den Einbruch der »Nacht«.
    Der Junge ärgerte sich, dass er so spät dran war, und sah sich vergeblich nach einem Schlupfloch um. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als hier die Zeit totzuschlagen, bis die Kontrollposten wieder geöffnet wurden.
    Im schummrigen Licht der spärlichen Nachtlampen suchte er nach einem freien Plätzchen, kauerte sich an die Sperrholzwand einer Hütte und schloss die Augen. Er wollte den unfreiwilligen Aufenthalt wenigstens nutzen, um sich ein wenig auszuruhen. Doch zu allem Überfluss konnte er nicht einschlafen. Seine müde gelaufenen Beine schmerzten, und der nackte Boden strahlte eine unangenehme, klamme Kälte ab.
    Als Gleb den Kopf drehte, traf ihn der argwöhnische Blick einer älteren Frau, die neben ihm saß und strickte.
    »Ich beobachte dich«, zischte sie und drohte mit ihrem knorrigen Zeigefinger. »Versuch ja nicht, irgendwas zu klauen. Ich sag’s sofort dem Stationsvorsteher!«
    Die Alte trug eine selbst gestrickte Mütze. Neben ihr lag eine mit Garn vollgestopfte Umhängetasche. Gleb drehte sich demonstrativ auf die andere Seite. Die Stricknadeln begannen abermals zu klappern. Offenbar hatte sich die misstrauische Dame wieder beruhigt. Zur Sicherheit atmete Gleb geräuschvoll ein und aus, um sich schlafend zu stellen. Dabei gab er sich solche Mühe, dass er prompt einnickte.
    Lärm am Kontrollposten riss den Jungen mitten in der Nacht aus dem Halbschlaf. Er reckte den Kopf, um zu sehen, was die Wachposten aufgeschreckt hatte. Unter den schlaftrunkenen Bewohnern erhob sich Getuschel.
    Im Gesichtsfeld erschien eine riesenhafte menschliche Gestalt . A ber war das tatsächlich ein Mensch? Für einen Moment dachte Gleb, der hünenhafte Besucher sei Dym. Doch dann trat die Gestalt ins Licht der Nachtlampen und man konnte seine furchterregende Montur erkennen.
    Das war ein Anblick!
    Der Ankömmling war von Kopf bis Fuß gepanzert: geschlossener Stahlhelm mit Sehschlitz, Harnisch, Arm- und Beinschienen – alles kohlrabenschwarz. Trotz der sperrigen, bleischweren Rüstung bewegte sich der Gigant erstaunlich leichtfüßig. Hinter seinem Rücken ragten die Ränder eines länglichen Behälters hervor. Von diesem Tank verlief ein metallverstärkter Schlauch zum rußigen Brenner eines Flammenwerfers.
    Der gepanzerte Besucher ignorierte die misstrauischen Blicke des Wachpersonals und marschierte langsam den Mittelgang der Station entlang. Dabei blieb er immer wieder stehen und musterte die Menschen, die sich verängstigt an die Säulen drückten.
    »Gott, steh uns bei …«, begann die Strickerin zu beten und bekreuzigte sich. »Verhüte ein Unglück und bewahre uns vor Blutvergießen …« Als sie Glebs fragenden Blick bemerkte, flüsterte sie hastig: »Bleib still sitzen und bete, dass er vorbeigeht. Das ist der Schwarze Vernichter! Der hat uns gerade noch gefehlt. Es sind wohl Pestkranke an der Station. Er jagt sie in der ganzen Metro . A ngeblich hat er ein Gerät, mit dem er die Krankheit aufspüren kann. Wenn er einen Maladen findet, ist es um ihn geschehen.«
    Der Junge kauerte sich zusammen und wagte kaum zu atmen. Sein Herz schlug heftig. Er erinnerte sich, dass die Erwachsenen an der Moskowskaja immer mit diesem Schwarzen Vernichter gedroht hatten, wenn er und seine Freunde etwas ausgefressen hatten. Gleb war immer der Überzeugung gewesen, dass die Erwachsenen diesen Metrokrampus nur erfunden hatten, um ihnen Angst einzujagen. Jetzt, da ihm der Kinderschreck in natura gegenüberstand, lief es ihm kalt den Rücken herunter.
    Eigentlich hatte Gleb keinen ernsthaften Grund zur Sorge, da er sich bester Gesundheit erfreute . A ber was, wenn sich dieser legendäre Kämpfer gegen die Pest auf einmal irrte?
    Unterdessen kam der Gigant unerbittlich näher. Mit jedem Schritt wurde er noch größer und füllte den ohnehin schmalen Mittelgang vollständig aus. Die breiten Schulterteile seiner rußgeschwärzten Rüstung streiften immer wieder die Bretterwände der baufälligen Hütten und verursachten dabei ein schabendes, durch Mark und Bein dringendes Geräusch.
    Geh vorbei, geh vorbei, geh vorbei …, flehte Gleb in Gedanken.
    Langsam kroch der bedrohliche Schatten des Vernichters über den Bahnsteig . A ls der Junge die Umrisse des Helms auf den brüchigen Bodenplatten sah, hielt er es nicht länger aus und kniff die

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