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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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nach der anderen bereitet. Ihre Absurdität, ihre grundlose Grausamkeit und ihr abgrundtiefer Zynismus gingen ihm an die Nieren. Gleb hätte längst aufgehört, an eine Zukunft dieser Welt zu glauben, wären da nicht die Siedler der Moschtschny gewesen – offenherzige und lebensfrohe Menschen, im Gegensatz zu den gefühlskalten, bösartigen Bewohnern des Untergrunds …
    Auf dem Weg zur Station der Militärärzte, der durch die Finsternis eines ihm völlig unbekannten Tunnels führte, schüttelte der Junge die Schwermut allmählich ab und schritt forscher aus. Der Gedanke an die ferne Insel wärmte seine Seele.

9
    DER SCHWUR
    Träge aufsteigende Bläschen zeigten an, dass die rubinrote Flüssigkeit in der Retorte langsam zu sieden begann. Die ersten Tropfen Kondensat flossen gerade durch das abwärts gebogene Röhrchen, als plötzlich energisch an die Tür geklopft wurde. Hastig nahm der Mann im weißen Kittel den bauchigen Kolben vom Feuer, doch das Glas war so heiß, dass er sich die Finger verbrannte. Die Retorte entglitt ihm und zersprang auf dem Boden. Der glücklose Experimentator fluchte. Zwischen Laborgerätschaften hindurch bahnte er sich den Weg zur Tür und schob ärgerlich den Riegel zurück.
    »Ich sagte doch, dass ich nicht gestört werden will, wenn …«
    Der Rest des Satzes blieb ihm im Halse stecken. Er schluckte . A n der Schwelle stand der schnauzbärtige Stationskommandant höchstpersönlich und sah ihn mit grimmiger Miene an.
    »Kantemirow, schon wieder am Tüfteln anstatt zu arbeiten, was?! Wieso hast du deine Schicht noch nicht angetreten?«
    »Äh, ich …«, stammelte der Arzt und suchte hektisch seine Utensilien zusammen. »Ich bin schon unterwegs!«
    »Ich warne dich. Wenn du noch mal zu spät zum Dienst kommst, gehst du in den Bau!«
    Der erblasste Mediziner drückte sich an dem wütenden Kommandanten vorbei und stürmte in den Gang.
    »Wladlen!«, rief ihm sein Boss hinterher.
    Der Arzt fuhr herum.
    »Es ist Besuch für dich da«, sagte der Kommandant und zwirbelte seinen Schnauzbart. »Zu Kantemirow persönlich, hat er gesagt. Frag ihn, was er will, und schick ihn dann zum Teufel. Wir können jetzt keine Besucher brauchen …«
    Der Doktor nickte beflissen und suchte das Weite. Die Experimente für die neuen Rezepturen musste er verschieben. Es hätte noch gefehlt, dass er wegen seiner Forschungsarbeit im Kittchen landete. Seine Laune war am Boden. Und jetzt stand ihm auch noch eine zwölfstündige Schicht in der Klinik bevor …
    Der Arzt ging an einer langen Reihe von Infusionsständern vorbei, durchquerte einen Gang, in dem beiderseits Regale mit Verbandsmaterial standen, und erreichte dann endlich die Quarantänestation.
    »Wohin?!«, blaffte der Posten an der Eingangstür. »Quarantänestation. Ohne Maske geht gar nichts.«
    Widerwillig zog Wladlen einen Mundschutz aus der Tasche und band ihn sich absichtlich schlampig vors Gesicht. Die massive Tür, in die ein kleines, vergittertes Fenster eingelassen war, öffnete sich.
    In dem engen Raum wartete ein etwa zwölfjähriger Junge, der es sich auf einer Liege bequem gemacht hatte. Schmutzig und ungekämmt, aber ungemein ernsthaft. Beim Anblick des unbekannten Erwachsenen zeigte er keinerlei Scheu, sondern trat ohne Eile näher und reichte dem Doktor die Hand.
    »Gleb.«
    Der Arzt musste unwillkürlich schmunzeln und drückte die Hand des Jungen.
    »Wladlen. Dann hast du also nach mir gefragt?«
    »Ja, ich.« Gleb setzte sich wieder auf die Liege. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe keine ansteckende Krankheit . A ber natürlich müssen Sie das überprüfen, ich weiß.«
    Kantemirows Lächeln wurde noch breiter. Der ungeliebte Mundschutz kam ihm jetzt doch zupass, da er seine Mimik verbarg. Die Fältchen in seinen Augenwinkeln sprachen allerdings Bände.
    »Kluger Junge. Was verschafft mir die Ehre?«
    Der Besucher ignorierte den scherzhaft-ironischen Ton mit einer Coolness, die für sein Alter ungewöhnlich war, und musterte den Doktor unverwandt: glatt gekämmtes, dunkles Haar mit einem Anflug von Grau, spitzes Kinn, hervortretende Wangenknochen. Gerötete, von Müdigkeit gezeichnete Augen. Unter dem mit Brandlöchern übersäten Arztkittel lugte ein fettiger Hemdkragen hervor.
    »Kennen Sie Taran?«
    Kantemirow stutzte. Bevor er antwortete, setzte er sich seinem ungewöhnlichen Gast auf einem Hocker gegenüber und sah ihn neugierig an.
    »Warte mal. Ich habe gehört, dass er jemanden adoptiert hat. Das bist nicht zufällig

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