Die Reise in die Dunkelheit
du?«
»Genau.« Gleb beugte sich ungeduldig vor. »Ich brauche Ihre Hilfe.«
Während Wladlen sich den etwas verworrenen Bericht seines Gastes anhörte, empfand er immer mehr Sympathie für diesen unbekümmerten Jungen, der genau wusste, was er wollte. Selbst wenn nur die Hälfte seiner Geschichte der Wahrheit entsprach, konnte er gut nachempfinden, warum der Stalker einen Narren an ihm gefressen hatte.
Trotzdem dachte der Arzt nicht daran, Glebs Bitte ohne jede Gegenleistung zu erfüllen. Das hätte seinem Pragmatismus als Wissenschaftler widerstrebt.
»Pass auf. Die Sache ist die …« Kantemirow zog sich den lästigen Mundschutz vom Gesicht. »Dieser Bandit, von dem du gesprochen hast, litt an Epilepsie. Bei ihm war klar, was behandelt werden musste. Bei deinem Stiefvater liegt der Fall etwas komplizierter. In mehrfacher Hinsicht. Er hat sich nämlich schon einmal an mich gewandt wegen seines Leidens.«
Gleb horchte auf.
»Ja, ja«, fuhr Wladlen gedehnt fort, als er die Reaktion des Jungen bemerkte. »Ich habe ihm damals eine umfassende Untersuchung angeboten als Gegenleistung für einen kleinen Auftrag, den er erledigen sollte. Doch was soll ich sagen – er hat abgelehnt.«
»Was für ein Auftrag denn? Vielleicht kann ich ja …«
»Wohl kaum«, unterbrach Kantemirow. Man merkte ihm an, dass ihn die Unterhaltung mit dem Kind ermüdete. »Das ist eine Nummer zu groß für dich. Tut mir leid, aber Taran hatte die Wahl. Ich glaube kaum, dass du mir für meine Dienste eine Gegenleistung bieten kannst.«
Als Wladlen gerade aufstehen wollte, bemerkte er in der Hand des Jungen eine Ampulle. Ihr bräunlicher Inhalt weckte sein professionelles Interesse.
»Was hast du da?«
»Ein veganisches Serum.«
Gleb öffnete die Hand und betrachtete das Glasröhrchen, das mit Siegellack verschlossen war. Es war die einzige Dosis, die er bei dem heimtückischen Überfall der Stummel auf den Bunker hatte retten können. Während der Gefangenschaft bei den Heiden hatte er sie gehütet wie seinen Augapfel.
»Damit gehen die Anfälle schneller vorbei«, erklärte er schniefend.
»Die Anfälle, sagst du? Lass mal sehen.« Kantemirow streckte die Hand aus. »Na, gib schon her. Keine Angst. Ich entnehme nur einen Tropfen zur Analyse, den Rest gebe ich dir zurück. Du musst sowieso hierbleiben, bis deine Blutprobe untersucht worden ist.«
Nach kurzem Zögern gab der Junge dem Arzt die Ampulle. Sie war doch sicher nicht umsonst heil geblieben während der ganzen Odyssee? Vielleicht eben deshalb, um letztlich hier bei den Militärärzten zu landen? Gleb hoffte inständig, dass es so war. Womöglich konnte ihm dieser gewiefte Wladlen doch weiterhelfen.
Gleb seufzte, während er dem Arzt hinterherschaute. Die Tür schlug zu und ließ den Jungen ratlos zurück.
Die Zeit in der kühlen Quarantänestation verging quälend langsam. Gleich nachdem Kantemirow gegangen war, hatte man den Jungen untersucht und ihm Blut abgenommen. Seither waren mehrere Stunden des Wartens vergangen. Eine gefühlte Ewigkeit.
Die Hoffnung auf ein Wunder hatte Gleb schon aufgegeben. Er tröstete sich damit, dass er wenigstens alles versucht hatte, um Taran wieder gesund zu machen. Es war zwar noch zu früh, sich mit einer Niederlage abzufinden, aber es entsprach auch nicht seinem Naturell, sich leeren Hoffnungen hinzugeben.
Der Junge staunte nicht schlecht, als die Tür aufging und der Arzt mit einem selbstzufriedenen Grinsen auf der Schwelle stand.
»Ich habe zwei Neuigkeiten für dich, mein Junge. Obwohl, genauer gesagt sind es sogar drei . A ber der Reihe nach.« Kantemirow nahm schwungvoll auf dem Hocker Platz. »Fangen wir damit an, dass du gesund bist. Deine Blutwerte sind völlig normal.«
Gleb nickte flüchtig. Das war die Neuigkeit, die ihn im Augenblick am wenigsten interessierte …
»Zweitens«, fuhr der Art fort und gab dem Jungen die Ampulle mit dem Serum zurück. »Nimm dieses Veganergebräu wieder mit. Ganz witzig, dieses Präparat, aber glaub mir, das hier wirkt wesentlich besser.«
In Wladlens Hand erschien ein unansehnliches Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit.
»Ist das …« Dem Jungen wurde die Kehle trocken vor Aufregung.
Der Arzt nickte feierlich und kostete den erzielten Effekt aus.
»Ganz genau, Junge. Das ist eine Medizin für deinen geliebten Taran. Du wirst es nicht glauben, aber es war ganz einfach, das Mittel herzustellen. Ich musste nur die Bestandteile des Serums isolieren und herausfinden, wie sie auf den
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