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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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Doch Aurora ignorierte die dunklen Stollen und schmalen Gänge, die in irgendwelche Betriebsräume führten, und ging in mäßigem Tempo im Hauptweg weiter.
    Nur einmal flüchteten die Kinder in die Finsternis eines Seitengangs, als ihnen, angeführt von einem gähnenden Aufseher, die nächste Kolonne der »Schwererziehbaren« entgegenkam. Diese kurze Zwangspause blieb jedoch die einzige Störung auf dem gesamten Weg – einmal abgesehen von überfluteten Tunnelabschnitten, die sie bis zu den Knien im kalten Wasser durchqueren mussten.
    Eigentlich gab es keinen Grund zur Sorge, doch irgendetwas am Verhalten des Mädchens beunruhigte Gleb. Seine Weggefährtin schritt nun weniger selbstsicher aus und schaute in jeden Seitengang, als würde sie nach einer Markierung suchen.
    »Bist du sicher, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind?«
    Aurora nickte nur und spähte angestrengt in die Finsternis.
    »Hör mal, täuscht mich der Eindruck oder bist du hier zum ersten Mal?«, hakte der Junge nach. »Willst du mir nicht endlich sagen, was Sache ist?«
    Das Mädchen blieb stehen und seufzte genervt.
    »Du hast recht. Ich habe Eden auf einem anderen Weg verlassen . A ber dort funktioniert meine Chipkarte nicht mehr. Frag mich nicht, warum. Wir müssen einen anderen Zugang finden.«
    Interessante Neuigkeit … Trotz allem, was passiert war, rückte Aurora nicht mit der ganzen Wahrheit heraus . A ndererseits: Konnte Gleb völlige Offenheit von ihr erwarten, wo er doch selbst nicht alle Karten auf den Tisch legte?
    »Aber der Rote Weg ist doch viel später entstanden als Eden! Warum suchen wir den Weg in die Stadt hier, in den Gruben der Kommunisten?«
    »Das wirst du gleich sehen«, wich Aurora aus und deutete auf einen Durchbruch weiter vorn.
    Etwa fünfzig Meter vor ihnen verbreiterte sich der Tunnel und führte in einem Bogen an einer gigantischen Säule vorbei, die aus aufeinandergesetzten Betonringen bestand. Im untersten sichtbaren Segment des Bauwerks befand sich ein mannshohes Loch.
    Als die Kinder davorstanden, konnten sie oben den vergitterten Ausgang des Schachts und ein Stück des trostlos grauen Himmels sehen. Gleb schauderte. Sie befanden sich näher an der Oberfläche, als er gedacht hatte. Der Blick nach unten versank in einem tiefen, schwarzen Loch, an dessen Grund stehendes Wasser schimmerte.
    »Ein Kontrollschacht?«, mutmaßte der Junge.
    »Kein einfacher Kontrollschacht, sondern der Abfluss eines Entwässerungssystems. Die Kommunisten sind zufällig darauf gestoßen und benützen ihn zur Belüftung des Tunnels und zum Abpumpen von Grundwasser. Ein paar Meter weiter oben verläuft aber ein Kabelschacht, der in die richtige Richtung führt.«
    »Woher weißt du das so genau?«
    »Sag ich dir später«, versetzte das Mädchen.
    »Na toll! Und wie willst du …«
    »Pst!«, zischte Aurora und lauschte.
    Aus dem Dunkel des Tunnels tauchte eine gebückte Gestalt auf. Der Mann trug einen speckigen Blaumann, und seine Haut war mit einer grauen Staubschicht bedeckt . A us trüben Augen schaute er die Kinder verständnislos an . A uf einem rostigen Blechhalsband, das in seinen dürren Hals einschnitt, war in weißer Farbe eine Nummer aufgemalt . A ls der Sträfling den Stoffbeutel an Auroras Schulter sah, erwachte er aus seiner Lethargie und bleckte seine schwarzen Zahnstumpen zu einem schiefen Grinsen.
    »Essen?«
    Der Mann griff nach dem Beutel. Das Mädchen schüttelte den Kopf und wich zurück.
    »Wir haben nichts«, sagte Gleb und stellte sich dazwischen.
    Dann ging alles so schnell, dass keine Zeit zum Überlegen blieb. Mit einem bösen Blick schwang der Sträfling seine schwere Spitzhacke und schlug zu. Im letzten Moment wich der Junge aus. Das Mordinstrument sauste knapp an seinem Kopf vorbei und bohrte sich in den Boden. Wutschnaubend versuchte der Unbekannte, die Spitzhacke wieder herauszuziehen, doch die rührte sich keinen Millimeter mehr.
    Entnervt ließ der Zwangsarbeiter von seinem Werkzeug ab und ging mit bloßen Händen auf den Jungen los. Gleb rechnete mit Faustschlägen, deshalb war er überrascht, als ihm der Unbekannte plötzlich an die Gurgel ging. Er wehrte sich verbissen, doch die schwieligen Schürhakenfinger des Sträflings legten sich erbarmungslos um seinen Hals. Direkt vor seinem Gesicht gähnte ein grässlich aufgerissenes Maul, aus dem ihm eine stinkende Wolke schlechten Atems entgegenschlug.
    Gleb stand kurz davor, in Panik zu verfallen, als Aurora sich von hinten auf den Angreifer

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