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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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beschränkte sich auf ein kurzes Kopfnicken und stieg in die Strickleiter. Dabei vermied sie es, in den Abgrund zu schauen. Zum Glück war der Aufstieg über die wackeligen Sprossen nur kurz. Schon wenige Meter weiter oben befand sich die Mündung eines Abflusskanals. Nachdem sie den unteren Teil der Leiter wieder an ihrem Platz verstaut hatten, zwängten sich die beiden durch die enge Öffnung der Betonröhre und gelangten in einen horizontalen, quadratischen, etwa mannshohen Schacht, der sich fortsetzte, so weit das Licht der Lampe reichte. Entlang der Seitenwände verliefen dicke Kabelstränge, die mit einer flaumigen Staubschicht überzogen waren.
    »Ist das der Kabelschacht, den du gemeint hast?«, fragte der Junge leise.
    Aus unerfindlichen Gründen fühlte man sich an diesem gottverlassenen Ort genötigt zu flüstern. Die massiven Platten über dem Kopf, die abgestandene, wie gepresst wirkende Luft und das Fehlen jeglicher Lichtquellen versetzten das Bewusstsein in einen diffusen Alarmzustand.
    »Ja, das ist er. Eine Reservetrasse zur Stromversorgung. Jetzt ist es nicht mehr weit.«
    Entgegen der Beteuerung des Mädchens schien der Weg überhaupt kein Ende zu nehmen. Der schnurgerade Schacht führte immer weiter weg vom Roten Weg und von der Metro.
    Glebs Schätzung nach hatten sie mindestens zwei Kilometer zurückgelegt, als das Ende des Schachts endlich in Sichtweite kam. Die Kabelstränge bogen hier nach oben ab und mündeten in einem rechteckigen Loch in der Decke.
    Über eine kurze Leiter gelangten die Kinder in einen staubigen Technikraum. Hier standen Transformatoren, Verteilerkästen und andere Gerätschaften herum, deren Funktion dem Jungen nicht geläufig war . A ls er den Lichtstrahl auf die Typenschilder richtete, fiel ihm auf, dass er kein einziges Wort lesen konnte. Schuld daran war die Batterie der Taschenlampe, die einer fiesen Gesetzmäßigkeit folgend im ungünstigsten Moment zu schwächeln begann.
    Gleb leuchtete zu seiner Weggefährtin hinüber, deren Silhouette bereits mit der Dunkelheit verschwamm.
    »Hol deine Taschenlampe raus. Meine scheint am Ende zu sein.«
    Aurora griff in ihren Stoffbeutel, stutzte und begann dann fieberhaft darin zu kramen. Plötzlich hielt sie inne und blinzelte konsterniert.
    »Ich fürchte, ich habe sie in dem Seitengang liegen lassen, wo wir uns vor den Kommunisten versteckt haben …«
    Nun, das war eine wenig erfreuliche, um nicht zu sagen: eine beschissene Nachricht . A usgerechnet jetzt war weit und breit nichts Brennbares greifbar, um wenigstens eine notdürftige Fackel zu basteln!
    Der Junge griff in seine Tasche, doch statt des gewohnten Feuerzeugs befand sich nur das Fläschchen mit der Medizin darin. Sein geliebtes Zippo hatte er diesem Schiwtschik überlassen. Um Ersatz hätte er sich schon längst kümmern können – zum Beispiel, als sie bei Tjorty zu Gast waren. Er hätte sich in den Hintern beißen können …
    Passend zu den düsteren Gedanken, gab die Taschenlampe in diesem Moment endgültig den Geist auf. Der Raum versank in archaischer, beklemmender Finsternis.
    »Gleb?« In der Stimme des Mädchens lag ein Anflug von Panik. »Gleb?!!«
    »Schrei nicht. Ich bin ja da.«
    Der Junge ging zu ihr zurück, nahm sie bei der Hand und tastete sich vorsichtig voran. Fast zwangsläufig stolperten sie immer wieder über herumliegende Kabel und Kisten . A urora schwieg und klammerte sich mit beiden Händen an Gleb.
    Um die fehlende visuelle Orientierung zu kompensieren, reagierte das Gehör doppelt so empfindlich wie sonst . A us der vermeintlichen Stille schälten sich diverse Geräusche heraus: das gespenstische Heulen des Zugwinds in Lüftungsschächten, ab und zu ein unerklärliches Rascheln und das Glucksen von Wasser in überfluteten Kellergängen.
    Die Angst, nie wieder aus diesem entlegenen Labyrinth hinauszufinden, kroch unerbittlich in jede Körperfaser. Der Junge nahm all seinen Mut zusammen und munterte seine Weggefährtin auf. Doch schon bald wurde ihm bewusst, dass er selbst kurz davor stand, in Panik zu geraten.
    Noch verschärft wurde die missliche Lage durch den Umstand, dass weder er noch Aurora die leiseste Ahnung hatten, in welcher Richtung sie nach dem vermaledeiten Kabelschacht suchen mussten. Beim Versuch, zu ihm zurückzufinden, verloren sie vollends die Orientierung. Mit jeder Sekunde, die sie in der konzentrierten Schwärze absolut undurchdringlicher Finsternis verbrachten, schmolzen auch die letzten Reste ihrer Courage

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