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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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sich.
    Auch diesmal funktionierte Glebs Lügengeschichte. Man ließ sie durch, allerdings mit der strengen Auflage, nicht weiter als bis zur Dienstbaracke der Aufseher zu gehen. Eben dort unterhielt Pachom einen seiner zahlreichen Handelsstützpunkte.
    Nachdem die Kinder den Kontrollposten passiert hatten, gelangten sie an eine Abzweigung, die von Petroleumlampen an den Wänden beleuchtet wurde. Ein Teil der Seitensegmente des Metrotunnels war hier demontiert. Dahinter öffnete sich ein großer Stollen, dessen Wände mit Holzbalken ausgekleidet waren.
    In der Nähe der Abzweigung standen zusammengekuppelte Grubenwägen auf dem Gleis, die randvoll mit Erde und Steinen beladen waren. Eine schier endlose Kolonne von Sträflingen schob Schubkarren mit dem ausgeschaufelten Erdreich aus dem Stollen und leerte sie neben den Förderwägen aus. Bewacht wurden sie dabei von grimmigen Aufsehern, die Schirmmützen mit roten Blechsternen trugen.
    »Der ganze Aushub wird zur oberirdischen Station Kuptschino gekarrt«, erläuterte der Junge, als er den neugierigen Blick seiner Begleiterin bemerkte. »Dort ist ein altes Depot, das nach und nach aufgefüllt wird.«
    »Und was ist mit der Strahlung?«
    Glebs Miene verdüsterte sich, während er den ausgemergelten, schwitzenden Sträflingen bei der Arbeit zusah.
    »Das interessiert doch keinen. Eine Überdosis Radioaktivität ist nicht das Schlimmste, was einem beim Ausladen passieren kann. Dort treibt sich allerhand Getier herum. Mutanten. Deswegen werden auch hauptsächlich Sträflinge zum Depot geschickt, die irgendwas ausgefressen haben. Man macht das, anstatt sie in den Karzer zu stecken. Es ist schon vorgekommen, dass ganze Brigaden verschollen sind. Die Trupps, die danach auf die verlassenen Grubenwägen stießen, haben weder Leichen noch Knochen vorgefunden.«
    »Vielleicht sind die Gefangenen einfach abgehauen?«
    »Abgehauen? Wohin denn? Wie ich schon sagte, die Gegend an der Kuptschino ist die Hölle – dort sind überall Sümpfe und es wimmelt von Bestien.«
    Als die Kinder die Verladezone erreicht hatten, bog Aurora zielsicher in den Seitentunnel ab. Die Aufseher machten keinerlei Anstalten, die beiden jugendlichen Streuner zu stoppen. Zwei mit Sturmgewehren bewaffnete Kleiderschränke warfen ihnen nur einen flüchtigen Blick zu und setzten dann ihre launige Unterhaltung fort. Die Anwesenheit Unbefugter schien sie überhaupt nicht zu interessieren . A nscheinend beschränkte sich die Zuständigkeit der Wachsoldaten darauf, die Sträflinge zu beaufsichtigen, was sie im Übrigen auch eher der Form halber taten, denn aus dem Tunnel der »Roten« gab es kein Entrinnen. Jedenfalls spielte das lasche Dienstgebaren Gleb und Aurora in die Hände – in den halb leeren, staubigen Stollen blieben sie völlig sich selbst überlassen.
    Entlang des Haupttunnels befanden sich mehrere große Kavernen, die den Sträflingen als Schlafplatz dienten. Holzzuber mit trübem Wasser und auf dem Erdboden ausgebreitete Lumpen waren die einzige Ausstattung dieser jämmerlichen Behausungen. Im Augenblick hielt sich hier niemand auf – alle Arbeiter waren auf Schicht. Nur in einer Kaverne lag ein halb nackter, dürrer Mann und rührte sich nicht. Ein Kranker wahrscheinlich. Oder ein Toter.
    Nach den Schlafräumen folgte eine große Halle, in der sich rostige Stahlskelette türmten. Bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass es sich um die Reste einer Tunnelbohrmaschine handelte. Für den Bau des Roten Wegs war diese Rostlaube wohl nicht mehr zum Einsatz gekommen, obwohl die fanatischen Bewohner der Swjosdnaja gewiss nichts unversucht gelassen hatten.
    An der Dienstbaracke schlichen die Kinder auf leisen Sohlen vorbei. Einer Begegnung mit Pachom ging Gleb aus dem Weg. Er wollte ihn nicht anlügen, die Wahrheit konnte er ihm aber auch nicht sagen.
    Je weiter sie vordrangen, desto schmaler wurde der Stollen, den grob zusammengenagelte Balken stützten. Der Abstand zwischen den Petroleumlampen vergrößerte sich zusehends. Der Rote Weg glich hier weniger einer zukunftsweisenden Verkehrsader als einem alten Wartungsgang für Metro-Betriebspersonal, was zu seinem pompösen Namen nicht recht passen wollte.
    Das Weiterkommen wurde allmählich beschwerlich. Der Korridor änderte in diesem Abschnitt die Richtung und führte bergan. Vielleicht hatte der tonhaltige Boden die Sträflinge gezwungen, auf weichere Erdschichten weiter oben auszuweichen.
    Des Öfteren kamen die Kinder an Kreuzungen vorbei.

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