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Die Reise ins Licht

Die Reise ins Licht

Titel: Die Reise ins Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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Menschen hier hatten sich zwischen den Müllbergen hingeflegelt und tranken trübes Dünnbier, droschen Karten und verrichteten ihre Notdurft.
    Gleb schaute sich gehetzt um. Taran hingegen hatte sich offensichtlich nicht das erste Mal in dieses »Himmelreich« verirrt. Er fasste den Jungen am Ärmel und zog ihn zur Mitte des Bahnsteigs. Über das Gleis führte ein Holzsteg direkt auf eine Wand zu und verschwand in einer weiten, rechtwinkligen Öffnung. Die dekorative Wandtäfelung, die früher den Eingang verschlossen hatte, lag nutzlos auf den Gleisen. Die Gefährten betraten einen weitläufigen Raum, an dessen Wänden sich mehrstöckige Regale entlang zogen.
    »Das ehemalige Lebensmittellager«, erklärte Taran.
    Jetzt aber pennten auf den Regalen die ungeselligen Bewohner dieser kriminellen Station wie in einem Waggon der dritten Klasse. Der Stalker führte den Jungen über volltrunkene Körper und Pfützen von Exkrementen immer
weiter die engen Gänge entlang, bis sie an einer eisenbeschlagenen Tür stehen blieben, auf die ein unbekannter Witzbold sorgfältig die stolze Aufschrift »KIROV PLAZA HOTEL« gekritzelt hatte.
    Im Sichtfenster erschien ein runzliges Gesicht. Der Alte erkannte Taran, schielte aber argwöhnisch zu Gleb hinüber.
    »Gehört der zu dir?«
    »Ja.«
    Der Alte grinste verschlagen. »Dann kostet es doppelt.«
    »Mach schon auf, Halsabschneider!«
    Das rostige Schloss knirschte widerlich, und die Gefährten traten ein. Gleich hinter dem Eingang versperrte ein Tisch, der schon bessere Zeiten gesehen hatte, teilweise den Zugang zu einem dunklen Korridor mit einer Reihe von Türen. Auf dem Tisch standen ein Petroleumkocher und eine Sperrholzschachtel, in der ein Stoß Blätter lag. Der Alte setzte geschäftig seine Brille auf – das eine Glas hatte einen Sprung –, setzte sich an den Tisch und holte einen Bleistiftstummel hervor.
    »Vorname, Nachname, Geburtsjahr.« Seine Hand hing über einem vergilbten Blatt Papier.
    »Bist du vollkommen übergeschnappt, Alter?!« Der Stalker geriet in Rage.
    Der Alte räusperte sich ungerührt und schaute die Besucher über seine Brille an.
    »Zweck des Aufenthalts? Für wie viele Nächte braucht ihr das Zimmer?«
    Taran warf ein Päckchen Aspirin auf den Tisch.
    »Eine Luxussuite bis morgen früh. Und hör auf mit der Maskerade.«

    Der Alte runzelte unzufrieden die Stirn, riss einen Papierfetzen ab, schrieb schnell etwas darauf und reichte ihn Taran.
    »Die Frühstückscoupons. Das Speisezimmer ist am Ende des …«
    »Steck dir die Coupons sonst wohin.« Der Stalker hob den Rucksack vom Boden auf. »Bring uns zum Zimmer, du Bürokrat.«
    Das Zimmer erwies sich als eine kalte Betonschachtel, drei mal fünf Meter, mit zwei durchgelegenen Pritschen, einem altersschwachen Tisch und zwei Hockern. In der Ecke befanden sich ein angeschlagenes Emaillewaschbecken und eine tönerne Kanne mit trübem Wasser. Den Tisch hatte man in weiser Voraussicht an die Wand gelehnt, da eines der Beine aus irgendeinem Grund fehlte. Das matte Lämpchen flackerte wild, vertrieb aber kaum die Dunkelheit – das unverkennbare Anzeichen eines überlasteten Generators.
    »Mach’s dir bequem.« Taran stellte den Rucksack in der Ecke ab und lehnte seine Kalaschnikow und das Gewehr an die Wand. »Und verhalte dich ruhig. Hier bist du sicher. Zur Sicherheit schließe ich nach mir ab. Nur ich habe einen Schlüssel.«
    Taran verschwand hinter der Tür. Das Schloss schnappte zu. Gleb streifte den Schutzanzug ab und zog die feuchten Schuhe aus. Bleierne Müdigkeit überkam ihn, seine Gedanken verhedderten sich. Gleb fiel auf seine Pritsche und wickelte sich in eine alte Decke ein. In der behaglichen Stille war nur noch das leise Surren der flackernden Lampe zu hören. Der Junge blickte in ihr Licht und genoss das Gefühl von Sicherheit. Endlich ging dieser Tag zu Ende. Mit dem sorgsam behüteten Feuerzeug in der Hand schlief er ein.

4
DAS QUARTIER
    Der unregelmäßige Schein der Fackeln spielte auf den Gesichtern der Menschen. In den hohen Bögen des Raumes hallte das Echo der zahlreichen Stimmen wider und verschmolz zu einem einzigen monotonen Dröhnen. Die Gemeindemitglieder hatten ihre Augen geschlossen und die Hände in vereinter Ekstase nach oben gestreckt, hin zu einem mit schwarzem Samt bedeckten Podest, auf dem ein hagerer Mann in weißem Kittel stand. Seine feinen Haare wehten im kaum spürbaren Luftzug des Tunnels, die Hände hielten einen Kelch mit Wasser, sein Blick aber war in die

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