Die Reise ins Licht
die heller werdenden Wolken. Sogar der Wind hatte seine Kraft verloren und ließ langsam nach, als ob er sich müde gespielt hätte.
Der Mechaniker schüttelte sich. »Alles nass und klamm … Kotlin mag uns wohl nicht.«
Gleb horchte auf und fragte: »Woher kommt eigentlich dieser Name?«
»Der Kotlin-See Ref. 34 . Noch nie davon gehört? Die Newabucht wird seit jeher so genannt.«
»Es gibt noch eine andere Legende«, schaltete sich Taran ein. »Hier haben die Schweden früher gesessen. Eine Wacheinheit. «
»Die Schweden?«, fragte der Junge.
»Nun, das ist wie mit unseren Veganern, nur …« Der Anführer stockte, suchte nach Worten. »Na ja, kurz gesagt,
Fremde. Als Zar Peter mit russischen Schiffen die Insel ansteuerte, haben sich die Schweden aus dem Staub gemacht. So schnell, dass sie es nicht einmal schafften, das Feuer zu löschen. Und auf dem Feuer hing ein Kessel mit irgendeinem Fraß. Nun, und da hat man beschlossen, die Insel Kotlin, also ›Kesselinsel‹, zu nennen.«
»Den Kessel hätt ich jetzt gern …«, sagte Farid verträumt.
Ins Gespräch vertieft, legten sie einen Großteil des Weges schnell zurück. Da sich auf ihrem Vormarsch ansonsten nichts weiter ereignete, gelangten die Gefährten schließlich wohlbehalten in den alten Teil der Stadt. Die leeren Straßen empfingen sie mit einer unnatürlichen Stille, die sie aufhorchen ließ. Weder das Rauschen von Blättern noch das Heulen von Raubtieren war zu hören. Es war, als sei die Zeit hier stehengeblieben, als habe sie keine Macht über den ewigen Schlaf der verlassenen Stadt.
Gleb fiel auf, dass die Tierwelt der Insel sich bisher noch gar nicht gezeigt hatte. War sie ausgestorben? Möglicherweise konnten die Mutanten überhaupt nicht hierhergelangen. Schließlich wusste niemand, was mit dem nördlichen Teil des Dammes passiert war …
Der Trupp passierte Häuserblock um Häuserblock und drang immer tiefer in die von Dickicht überwucherten Ruinen ein. Die baufälligen, düsteren Häuser machten einen beklemmenden Eindruck. Leere und Vergessen waren hier die rechtmäßigen Hausherren geworden. Es war unheimlich, über die stummen, verlassenen Straßen zu gehen, vorbei an vernagelten Fensterrahmen und den dunklen Schlünden der feuchten Hauseingänge. Was mochte sich
jetzt dort befinden, im Inneren dieser abstoßenden Gebäude? Während Gleb über das sandige Pflaster schritt, berührte er mit seiner Hand immer wieder den Schaft seiner Pistole. Das seltsame Gefühl, dass ihn jemand von der Seite beobachtete, verließ ihn keine Sekunde. Sein Meister schien das ebenfalls zu spüren, blickte sich beunruhigt um und musterte die mit Moos bewachsenen Dächer.
»Bleibt wachsam!« Taran beschleunigte seinen Schritt.
Irgendwo in der Nähe ertönte ein langgezogenes Knirschen. Die Stalker zuckten zusammen, griffen nach ihren Waffen. Ihr Anführer schlich konzentriert die Häuserwände entlang, doch ihre Sorge erwies sich als unbegründet. Bald darauf erblickten sie alle eine Tür, die ruhelos vom Wind auf- und zugeschlagen wurde. Die verrosteten Türangeln knarrten verzweifelt – ein trostloses Empfangsständchen für die ungebetenen Gäste.
»Schauen wir mal rein?« Taran zeigte auf eine Tür.
»Warum gerade hier?« Der Mechaniker blickte misstrauisch auf den düsteren Hauseingang.
»Warum nicht? Wir können jede noch so kleine Information gebrauchen. Es würde auch nicht schaden, Farid einen neuen Verband anzulegen.«
Der Tadschike nickte dankbar. Die Gefährten gingen hinein. Sie stiegen einige Stockwerke hinauf und stießen die erstbeste Tür auf. Der Junge machte sich mit großem Interesse daran, diese ehemals menschliche Behausung zu untersuchen. Ein kurzer Korridor, schwarz vermodertes Parkett. Unter der dicken Schicht aus Schimmel waren die Tapetenfetzen an den Wänden kaum zu erkennen. Das
gleiche Bild in den Zimmern. Nur gab es hier mehr Möbel. Im Schlafzimmer standen ein altersschwaches Bett und die Überreste eines Kleiderschranks. An der in den langen Jahren feucht gewordenen Decke waren graugrüne Flecken. Asseln wimmelten in den Spalten des völlig vermoderten Fensterbretts.
Nicht gerade gemütlich. Wehmütig dachte Gleb an seine ordentlich mit einer Baumwolldecke hergerichtete Pritsche in der allgemeinen Wohnecke an der Moskowskaja . Sogleich stiegen in seinem Kopf Erinnerungen an nächtliche Treffen am Feuer auf, an Stalker-Spiele mit den Nachbarjungen, an die seltenen Wachdienste an den Vorposten, an die Markttage,
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