Die Reise Nach Helsinki
Peking
den Boxer-Aufstand niederwerfen, und der Kaiser hatte ihnen ans
Herz gelegt, dass sie in China bekannt und gefürchtet werden
sollten wie die Hunnen.
Neben ihnen hatte sich ein
stutzerhaft gekleideter junger Mann aufgebaut, der offensichtlich
allein reiste und Anschluss suchte. Er sah abwechselnd Anna und
Lina an und lächelte offensiv.
»Ein prächtiges Bild gibt unsere
Marine doch ab, finden Sie nicht?«
Die Frauen grinsten und
verständigten sich mit einem kurzen Blick.
»Na ja«, sagte Anna, »wenn man diese
Verkleidungen mag. Ich finde, sie sehen eher aus wie
Karnevalsprinzen, mein Geschmack ist das
nicht.«
»Ich glaube, die Finnen sind nicht
so obrigkeitshörig wie die Deutschen, was meinst du«, wandte Lina
sich demonstrativ an Anna.
»Bestimmt nicht. Sie werden ja seit
Hunderten von Jahren von den Großmächten unterdrückt, sie haben die
Nase gestrichen voll von der Obrigkeit.«
»Auf jeden Fall sind die starken
wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen zwischen Finnland
und Deutschland nicht zu leugnen«, mischte sich der Stutzer eifrig
ein, »die Beziehungen sind hervorragend, immer schon gewesen. In
manchen Kreisen wird sogar darüber nachgedacht, ob man Finnland
nicht zur Monarchie machen soll mit einem deutschen Adeligen auf
dem Königsthron.«
»Da sei Gott vor!« Anna warf den
Kopf zurück. »Darauf kann das finnische Volk ja wohl gut
verzichten. Immerhin haben sie die modernste Demokratie Europas,
Einkammer-Landtag mit Frauenwahlrecht. Da brauchen sie doch wohl
keinen degenerierten Deutschen an der Spitze!«
»Aber sie stehen unter der
russischen Knute, da beißt die Maus keinen Faden ab«, beharrte der
Stutzer.
Anna näselte von oben herab. »Wir
wollen die russische Knute ja nicht durch eine deutsche ersetzen,
junger Mann, und Sie glauben doch nicht, dass die Deutschen einfach
so einen König zur Verfügung stellen, ohne Gegenleistung. Die
wollen doch nur ihren Machtbereich ausdehnen. Nein, nein, aus den
finnischen Angelegenheiten sollen sich die Wilhelms mal schön
raushalten.«
Der Stutzer gab auf und sah sich
nach unkomplizierteren Reisebekanntschaften um, Anna und Lina
unterdrückten mühsam einen Lachanfall. Die Kräne auf dem Kai hatten
ihre Lasten abgeladen, die Gangway wurde hochgezogen, und die
Kapelle schmetterte den Radetzky-Marsch. Gespannt beobachteten sie,
wie das Schiff ablegte und langsam Fahrt gewann. Der Wind war warm,
obwohl der Himmel sich zugezogen hatte, die Ostsee schwappte wie
Blei.
Sie bezogen ihre Kabine, Anna
drückte dem Steward einen Geldschein in die Hand und bat ihn um
erhöhte Aufmerksamkeit, die er zusicherte. Außerdem versprach er,
die Kollegen im Service der ersten Klasse zu
informieren.
Die Küste war jetzt außer Sicht, die
»Primula« zog eine schnurgerade, grau schäumende Spur durch das
Meer. Der Himmel hatte sich verdunkelt, Windböen kamen auf, in der
Ferne grollte und blitzte es. Das Schiff rollte hin und her, auf
dem "Weg in ihre Kabine mussten sie sich an den Geländern
festhalten. An ihnen vorbei stürzte leichenblass der Stutzer, die
Hand vor den Mund gepresst. Anna prustete los.
»Pass bloß auf, Schadenfreude wird
bestraft«, kicherte Lina, »nicht, dass wir auch gleich über der
Reling hängen.«
Riikka
Seine Hände waren wie eine
Nussschale, die mit Rentierflaum ausgepolstert ist, er wiegte mich
darin, und sie rochen wie das Paradies, niemals werde ich diesen
Geruch vergessen. Nur bei Matte hatte ich später manchmal noch
dieses Gefühl, wenn wir unsere Nasen aneinander rieben und er mir
Püppchen mit einem roten Sonntagskleid bastelte und eine kleine
Puppenschaukel in die Kote hängte, die ich hin und her schwenken
konnte, hin und her. Eine kleine Glücksinsel war das, wie Mamas
Lachen, o Marja, niemand konnte so glucksen wie du, als du noch
fröhlich warst, als Matte noch im Sommer in die Berge nach Norwegen
ging, dahin, wo die Lappen am glücklichsten und freiesten sind, wo
ihnen der Wind um die Nase weht und ihre Gedanken frei rinnen
können. Als er noch Schlittenrennen fuhr unter dem
sternenbeglänzten Winterhimmel, als er noch tanzte, mit
ausgebreiteten Armen und schnipsenden Fingern, als er noch nicht
wie ein ausgehungerter Wolf durch meine Wohnung lief, hin und her,
hin und her, Stunde um Stunde. An diesen Tagen konnte man nur froh
sein, wenn man ihn zum joiken [Joik: Ursprünglicher Gesang der Samen] brachte,
das war das Einzige, was half.
Vota, voia, nana, nana, in Frieden liegen sie
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