Die Reise Nach Helsinki
in der Erde, in Frieden
sitzen sie bei den Göttern, voia, voia,
nana, nana, in Frieden sind sie ins
Totenreich Manala gelangt.
Zum Glück hatte er da den laestadianern [ Christliche, strenggläubige Erweckungsbewegung, der viele
Samen angehörten ] mit ihrem frömmelnden christlichen Getue, denen unsere
ganze sida [ Verbund
von Samen und ihren Rentierherden ] anhing, schon abgeschworen. Sie wollten die Lappen
unterwerfen, sogar das joiken wollten sie ihnen verbieten, das ist, als würde
man den Lappen das Atmen nehmen. Matte fand Trost, indem er sich
seinem ursprünglichen Glauben wieder zuwandte. Stunden saß er da,
rief die Götter und Geister an und sang das Totenlied für Per und
Isak, er wiegte sich hin und her, und seine Augen wurden zu
schwarzen, stumpfen Knöpfen. Wohl selten hat ein Unglück eine
Familie mehr zerstört als die unsere. Am meisten Marja, die ich
immer in ihrem roten Kleid sehe, das sie am Schluss nicht mehr
auszog, obwohl es nur noch in Fetzen an ihr hing, die breite Mütze
auf dem Kopf, deren bunte Streifen man vor Dreck nicht mehr
erkennen konnte und die in den See rollte, wenn sie immer und immer
wieder den Kopf auf den Steg schlug und sich dann im Boot
verkroch.
Da haben wir Liebe gemacht, Riikka,
da haben wir dich in der Sommernacht gezeugt, als an der einen
Hälfte des Himmels der Vollmond, an der anderen die rote Sonne zu
sehen war. Ein Kind der Sonne und des Mondes bist du, kulta, ein Sonnenmondkind,
das in die Hölle gefallen ist.
Ja, ja, Marja, aber meine Hölle war
nicht deine, sie war nicht, was geschehen war, sondern meine Hölle
warst du. Wenn du erst die halbe Flasche pirtu ohne abzusetzen in dich hast
hineinlaufen lassen und dich dann mit den Birkenzweigen geschlagen
hast, bis die Saunabank voll gespritzt war mit deinem Blut, das war
meine Hölle. Wenn ich dich umarmen, auf deinem Schoß sitzen und mir
die Hasstiraden über meinen Vater anhören musste, obwohl du nach
Schnaps stankst wie ein altes Spritfass, genau wie du es bei deiner
Mutter tun musstest. Wie oft erzähltest du mir, wie du es
verabscheut hast, niemals wolltest du deinem Kind das Gleiche
antun, und doch hast du es getan, vielleicht gibt es gar keinen
anderen Weg. Mein Vater hat Unrecht von seinem Vater erfahren und
es an sein Kind weitergegeben, jedenfalls an sein erstes Kind,
nicht an dieses Zuckerpüppchen aus Deutschland, dessen Leben ja
wohl ein einziges Honigschlecken ist, wenn man Soderberg glauben
kann. Vielleicht wollte er an ihr ja alles wieder gutmachen, was er an seiner Erstgeborenen verbrochen
hat, vielleicht wollte er seine Schuld auslöschen, sich
reinwaschen, aber ich bezweifle, ob einem Menschen das gelingen
kann, wenn er sein Kind verlassen hat. Wir erfahren die Hölle und
bereiten sie anderen, ohne es zu wollen, wir geben sie weiter von
Generation zu Generation, als wäre es ein ewiges Gesetz.
Ich werde das nicht einlösen, ich
werde kein Kind haben, kein schwächeres Wesen, auf das ich mein
eigenes Unglück laden kann. Daran wird auch Seppo nichts ändern,
der sich zurzeit mächtig ins Zeug legt, immer will er mit mir Tango
tanzen gehen. Einen schönen starken Nacken hat er ja, und einen
guten Geruch, aber er denkt, weil ich mich manchmal mit ihm treffe,
sei das gleich ein Heiratsversprechen. Gut, dass es die Verhütung
gibt, obwohl schwer dranzukommen ist für eine Frau, sogar in
Helsinki, zum Glück habe ich meine Verbindungen. Zuerst hat er sich
beschwert, als ginge es gegen seine Ehre, aber ich habe gesagt: Du
ziehst das Ding über, oder es läuft gar nichts, Seppo. Glaubt er
denn, ich würde klaglos ein Kind nach dem anderen werfen? Deinen
Beruf musst du nicht aufgeben, Riikka, du kannst morgens in der
Schule unterrichten und dich nachmittags um unsere Kinder kümmern.
Natürlich, Seppo, während du auf deinem Bock sitzt, ein paar hesalaiset [ Bewohner von
Helsinki ] durch die
Gegend kutschierst und anschließend mit den Jungs einen trinken
gehst, schufte ich bis in die Nacht, um meine Familie glücklich zu
machen. O nein, dieser Kelch wird an Riikka Turi vorübergehen, das
ist der stärkste Nacken und die weicheste Haut eines Mannes nicht
wert. Mach dich niemals abhängig, mach es nicht so wie ich, werde
ein eigenständiger Mensch. Diese Sätze von dir klingen mir ewig in
den Ohren, Marja, und ich habe es ja auch geschafft, trotz deines
Vorbildes oder gerade deshalb. Obwohl es manchmal hart und einsam
ist, wie die Winternächte in Lappland, wenn du vor Dunkelheit
keinen Stein
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