Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
Pistole auf den Katzenartigen gerichtet. Er führte sie durch verschiedene Korridore, benutze mal hier eine Tür und da eine Treppe, bis Martin die Orientierung verlor. Führte er sie etwa im Kreis herum? Auch Eliane wurde ungeduldig:
»Es reicht jetzt, Telur, du kannst mit uns nicht ewig im Kreis spazieren. Wo ist der Personenlift?«
»Nur Geduld«, zischte der Illusionist, »wir sind gleich da.
Kaum hatte er das gesagt, traten sie durch eine hölzerne Tür auf eine Plattform, die wie ein Balkon über den Abgrund hinaus ragte. Es schneite immer noch und der Sturm riss sie fast von den Beinen. Am äußeren Rand der Plattform hing eine Personenkabine an einem Ausleger. Sie sah aus wie eine große Laterne und glich der von Fort Tesla wie ein Ei dem anderen.
»Ihr braucht nur einzusteigen und den Startknopf zu drücken. Auf Nimmerwiedersehen«, zischte der Illusionist.
»Du bist das unfreundlichste Wesen, dem ich je begegnet bin«, sagte Martin. Gleichwohl danke ich dir.« Er wollte gerade auf die Kabine zuschreiten, da rief Eliane: »Stopp, keine Bewegung.« Dann schoss sie. Der giftgrüne Strahl aus ihrer Minipistole fuhr mitten in den Panzer des Illusionisten. Martin sah entsetzt, wie aus dem Einschussloch Blut sprudelte. Das katzenartige Wesen fiel zu Boden und krümmte sich zusammen.
»… wieso hast du … hast du das gemacht«, stammelte Martin. »Er hat uns doch geholfen!«
»Dann schau dir mal die Liftkabine an.«
Martins Augen wanderten zu der Stelle, wo vorhin die Kabine gewesen war. Am Ausleger baumelte der Rest eines ausgefransten Stahlseils im Sturmwind. Ein Abgrund klaffte dort, wo sich die Kabine befunden hatte.
»Er wollte uns in den Tod schicken«, stellte er ernüchtert fest.
»Ja, und wenn es ihm diesmal nicht gelungen wäre, hätte er es immer wieder versucht. Darum musste er sterben. Jetzt werden wir herausfinden, was wirklich in Fort Watt geschehen ist.« Sie drehte sich um und schritt wieder zurück ins Fort.
»Wie hast du herausgefunden, dass er uns wieder etwas vorgaukelte?«
»Es war die Liftkabine. Sie sah genau gleich aus wie die beim Fort Tesla, und zwar bis ins kleinste Detail. Für seine Illusionen hat er sich unserer Erinnerung bedient.«
Sie muss über ein fotografisches Gedächtnis verfügen, überlegte er. Er selbst hätte das nie bemerkt, obschon auch er ein guter Beobachter war. Ob ihr Gedächtnis durch mechanische Komponenten unterstützt wurde?
Sie stiegen kreuz und quer durch das Fort, doch nirgends fanden sie Anzeichen eines Kampfes. Die Besatzung hatte offenbar auch wenig oder gar nichts mitgenommen. Es sah so aus, als wären alle einfach spurlos verschwunden, die mechanischen Wächter eingeschlossen. Als sie an der Basis des großen Turms anlangten, stiegen sie die Wendeltreppe empor. Der Aufstieg dauerte lange und Martin hatte längst mit dem Zählen der Treppenstufen aufgehört, als sie endlich oben beim erloschenen Leuchtfeuer anlangten. Es sah hier oben tatsächlich aus wie in einem Leuchtturm. Hinter den dicken Gläsern von zwei Fresnel-Linsen, die auf einem Zahnkranz rotierten, befand sich eine große Gaslaterne. Fasziniert studierte Martin die Einrichtung. Der Linsenkranz wurde über eine Untersetzung von einem Windrad angetrieben, das sich außerhalb des Turms befand. Somit hing die Geschwindigkeit des Leuchtstrahls von der Windstärke ab. Das erlaubte es dem Beobachter, von der Kadenz der Lichtblitze auf die Windgeschwindigkeit zu schließen. Obschon die Mauern des Turms meterdick waren, glaubte Martin die Erschütterungen des Sturms wahrnehmen zu können, der in dieser Höhe tobte. Hier oben nach draußen zu gehen, hätte den sicheren Tod bedeutet. Doch diese Möglichkeit existierte nicht, es gab weder eine Plattform noch einen Ausgang.
»Jemand hat den Gashahn für das Leuchtfeuer zugedreht. Doch wer es war und warum er es getan hat, ist ein Rätsel. Jetzt bleibt uns nur noch das Kellergeschoss des Forts, die meisten anderen Räume haben wir bereits untersucht«, sagte Eliane, als sie wieder hinunterstiegen.
»Auch da wird wohl nichts zu entdecken sein. Die Besatzung hat das Fort verlassen. Vielleicht weil es angegriffen wurde und der Feind übermächtig war.«
Eliane lachte wiehernd wie ein Pferd.
»Ach, Martin, ein Fort wird nicht einfach so aufgegeben. Auch wenn die feindliche Macht noch so groß ist: Gekämpft wird bis zum Letzten.«
Er musste bei diesen Worten unwillkürlich an die Kommandantin von Fort Tesla denken. Lebte sie noch? Hatte die
Weitere Kostenlose Bücher