Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
zu.
»Für den Fall, dass uns die Schremp doch noch besuchen«, erklärte er und forderte Eliane auf, sich auf das durchnässte Bett zu legen. Dann zog er ihr den Stiefel vom rechten Fuß und die Socke aus und krempelte die schwarzen Lederleggings hoch, so gut es ging. Verletzungen waren keine zu sehen, die Haut schien intakt zu sein.
»Ist es wirklich dieser Fuß und nicht der andere?«
»Natürlich, du Schlaumeier. Du kannst ja selbst sehen, dass ich auf diesem Bein hinke. Du musst den kleinen Zeh rausschrauben.«
»Den Zeh rausschrauben?« Martin runzelte ungläubig die Stirn, doch dann griff er nach dem kleinen Zeh. Er fühlte sich weich und warm an, genauso wie sich ein Zeh anfühlen sollte. Sachte begann er nach links zu drehen und beobachtete dabei Elianes Gesicht.
»Nach rechts, du Trottel. Es ist ein Rechtsgewinde.«
Martin versuchte es den anderen Weg rum, aber da schien kein Gewinde zu sein, der Zeh verdrehte sich bloß.
»Ich möchte dir nicht weh tun.«
»Dreh stärker. Das Gewinde ist etwas eingerostet.«
In diesem Moment entdeckte er die feine Linie an der Zehenbasis. Er drehte nochmals kräftiger und plötzlich gab der Zeh mit einem leisen Quietschen nach. Die Linie verbreitete sich zur Spalte. Doch nach zwei weiteren Umgängen war Schluss.
»Was jetzt? Das Ding lässt sich nicht weiter herausdrehen.«
»Das reicht«, sagte sie, und in diesem Augenblick ging mit ihrem Fuß eine seltsame Verwandlung vor: Er klappte mit einem Surren in der Mitte auseinander und gab den Blick in sein Inneres frei. Martin war zurückgezuckt, doch als er anstatt Fleisch und Blut die feine Mechanik bemerkte, näherte er sein Gesicht wieder dem freigelegten Fuß. Was er sah, faszinierte ihn: ein unheimlich komplizierter Mechanismus mit allerfeinsten Zahnrädchen, die von bloßem Auge kaum zu erkennen waren, winzige Federn und Hebel und Dinge, die er nicht zu deuten wusste. Nichts deutete auf Elektrizität oder gar Elektronik hin, alles schien mechanisch zu funktionieren.
»Dein Fuß ist wunderbar, aber ich bezweifle, ob ich ihn reparieren kann. Ohne Lupe kann ich nicht einmal einen Fehler erkennen.«
Eliane griff sich mit der rechten Hand an den linken Unterarm und zog dort eine kleine Lupe und eine winzige Pinzette hervor.
»Hier ist dein Werkzeug, versuch es damit.«
Überrascht nahm er die Utensilien in Empfang und machte sich an die Untersuchung des Fußes. Aber er konnte nur die Oberfläche der komplizierten Maschinerie inspizieren. Der Einblick in die Tiefe war ihm durch die vielen Rädchen versperrt. Doch dann stutze er. Zwischen zwei kleinen Spiralfedern tauchte plötzlich ein silberner Wurm auf, dick wie eine Spaghetti und wie ihm schien mit einem winzigen Gesicht.
»Du hast einen Parasiten im Fuß. Ein Silberwurm guckt mich gerade an«, sagte er aufgeregt.
Eliane zuckte zusammen. »Ein Lagerfresser. Wie ist das nur möglich? Ich hatte doch nur eine kleine Blessur, die sich rasch regeneriert hat. Jetzt verstehe ich, wieso mein Fuß blockiert ist. Es war nicht eingedrungenes Wasser. Du musst ihn unbedingt entfernen. Diese Viecher fressen mit Vorliebe die kleinen Kugellager und davon gibt es dort unzählige. Wenn er weiter sein Unwesen treibt, kann ich mein Bein vergessen.«
»Wie weit reicht denn der mechanische Teil deines Beines?«, fragte er neugierig.
»Bis übers Kniegelenk. Dann kommt eine Transitzone.«
»Bei beiden Beinen?«
»Ja, natürlich, ein Bein ist kein Bein, sagt man unter Unseresgleichen.«
Martin richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den silbernen Parasiten. Der machte kehrt und Anstalten, wieder in der Tiefe der Mechanik zu verschwinden. Vielleicht hatte er die Gefahr erkannt, die ihm drohte. Martin griff mit der Pinzette zu und erwischte gerade noch seinen Schwanz. Als er daran zog, wand sich der Metallwurm wie wild und ringelte seinen Körper um eine der Spiralfedern.
»Pass auf; wenn er entzwei bricht, entwickelt sich der verbleibende Teil in kürzester Zeit wieder zu einem vollständigen Lagerfresser.«
»Sind diese Dinger biologisch?«
»Nein, sie sind mechanisch. Ihre Mechanik ist so fein, dass sie nur unter den stärksten Mikroskopen sichtbar ist, und woher sie kommen, weiß niemand.«
Er schaffte es, den silbernen Wurm herauszuziehen, ohne ihn zu beschädigen. Der Lagerfresser wand sich im Griff der Pinzette. Stolz hielt Martin seine Beute Eliane vor die Augen.
»Komm mir damit nicht zu nahe. Wenn er dir entwischt, ist er im Nu wieder in mir drin. Du musst ihn
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